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Helga Maria Wolf

Wald#

Foto: Alfred Wolf
Foto: Alfred Wolf

Eines der Niederösterreichischen Viertel verdankt dem Wald seinen Namen. Wälder machen 40 % der Fläche des Bundeslandes aus, darunter 500 ha Urwald in der Region Eisenwurzen und 9.000 ha Auwald als Nationalpark an der Donau. Der Wald als Wirtschaftsraum sicherte Generationen das Überleben, er galt aber auch als unheimlich, bevölkert von wilden Tieren und lichtscheuen Gestalten.

Mit dem Rothwald, südlich des Dürrenstein-Massivs im Bezirk Scheibbs, besitzt Niederösterreich Österreichs einziges "Strenges Naturreservat in Kategorie I a", das nie forstwirtschaftlich bearbeitet wurde. Nach der Aufhebung des Kartäuserklosters Gaming, dem er einst gehörte, kaufte die Familie Rothschild den Wald, nutzte ihn aber nicht. Im Sinne des Umweltschutzes beschloss Albert Rothschild (1844-1911) 1875, das Gebiet als Primärwald für die Nachwelt zu erhalten. Es gilt als größter Urwald Mitteleuropas. Üblicherweise waren geistliche wie weltliche Grundherren seit dem 12. Jahrhundert bestrebt, großflächige Rodungen durchzuführen.

Im Mittelalter unterschied man den ungepflegten Urwald (silva) und den gehegten Forst (forestum). Der Wirtschaftshistoriker Roman Sandgruber spricht von der "Ambivalenz zwischen Wildnis und Kultur". Heute denkt man bei Produkten des Waldes in erster Linie an Holz, doch gab es viel mehr Verwertbares: Wild, Kräuter und Pilze, Wurzeln und Knollen, Beeren und Obst, Honig und Wachs, Eicheln, Bucheckern und Nüsse, Harz, Pottasche, Heu, Laub und Reisig. "Durch Abbrennen und Beweiden, Laubrechen und Schneiteln, Streusammeln und Abgraben von Walderde erfolgte ein Energie- und Nährstofftransfer vom Wald aufs Feld, ohne den die Landwirtschaft nicht hätte auskommen können " stellt Sandgruber fest.

Waldbauern übten eine Reihe von Nebengewerben aus. Sie tauschten Produkte, wie Holzkohle, Binderwaren, Dachschindeln, Bauholz oder Bretter auf dem Holzmarkt in Wiener Neustadt gegen Getreide für den Eigenbedarf. Ihre Wirtschafts- und Sozialgeschichte im Schneeberggebiet, das zu 85 % aus Waldflächen besteht, kann man im Waldbauernmuseum Gutenstein kennenlernen. In der aus dem Jahr 1576 stammenden "Alten Hofmühle" stellt es 13 solcher Gewerbe vor.

Anders als die Waldbauern, die (seit der Bauernbefreiung 1848) zugleich die Waldbesitzer waren, handelte es sich bei den Holzknechten um Lohnabhängige. Dennoch bildeten sie einen selbstbewussten Stand mit einer straffen Arbeitsorganisation. Dieser entstand nach dem Aufkommen der Eisenindustrie. 1569 bestimmt die "Eisenwidmung", dass die Wälder des Schneeberg- und Raxgebietes für die umliegenden Eisen- und Hammerwerke zu verwenden seien. 1625 schlossen sich mehr als 60 Radwerke und Eisenhämmer zur "Innerberger Hauptgewerkschaft" zusammen. Um den Holzbedarf zu decken, wurden Forstarbeiter in Niederösterreich angesiedelt. Eine Partie bestand aus 10 Männern, denen der "Passknecht" vorstand. Während der Woche hausten sie in der Nähe des Schlages in Hütten oder Blockhäusern. Entlang der Wände befanden sich Pritschen als Liegestatt. Den Mittelpunkt bildete die Feuerstätte zum Kochen und Heizen. Jeder kochte für sich und hatte eine bestimmte Stelle am Herd. Zum Essen saß er, mit der Pfanne auf den Knien, auf seinem Schlafplatz. Die meisten Speisen bestanden aus einem Mehlteig, der in Schweineschmalz herausgebacken wurde.

Als um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Wien das Brennholz knapp wurde, warb man evangelische Holzknechte aus Salzburg an. Daheim wurde sie wegen ihres Glaubens verfolgt, in Niederösterreich fanden sie dauerhafte Arbeitsplätze. Die einsamen Wälder boten auch Gelegenheit, fernab der Siedlungen im Geheimen ihre Andachten zu pflegen. Nach dem Josephinischen Toleranzpatent wurde in Mitterbach 1785 das erste Bethaus einer Toleranzgemeinde in Niederösterreich eingeweiht. Auch der "Raxkönig" Georg Huebmer (1755-1833) entstammte einer geheimprotestantischen Familie. Er und sein Bruder Johann errichteten am Naßbach und an der Schwarza die für die Holzbringung notwendigen Einrichtungen und sicherten dadurch viele Jahre den Betrieb des Hirschwanger Eisenwerks der Innerberger Hauptgewerkschaft. Früh erkannten sie die Möglichkeit, über den Wiener Neustädter Kanal Holz nach Wien zu befördern. Berühmt wurde Georg Huebmer als erster Tunnelbauer Europas, da er durch den 1134 Meter hohen Sattel des „Gscheidl“ einen 430 Meter langen Schwemmtunnel zur Holztrift sprengen ließ. 1827 waren die Arbeiten abgeschlossen. In den 1970er Jahren erforschte der Volkskundler Günther Richter die traditionelle Kultur der Holzknechte, wobei er 130 von ihnen befragte. Themen waren Alltag, Arbeitsgeräte und -methoden, Kleidung, Glaube und Aberglaube sowie Bräuche. Dazu zählten Standesfeste, wie Holzhackerball und Holzknechtkränzchen, bei denen spezielle Lieder und Tänze zur Aufführung kamen, Maschkerer-Umzüge im Fasching, das Setzen von Mai- und Sonnwendbäumen, das Fensterln und kirchliche Feiertage.

Holzknechte waren - wie Förster - nicht die einzigen, die ihren Beruf im Wald ausübten. Weithin hörbar klang das Schlagen der Pecher, wenn sie im südöstlichen Niederösterreich den Föhren ihr Harz abzapften. Jahrhunderte lang bildete die Pecherei für tausende Familien in den Bezirken Mödling, Baden, Wiener Neustadt und Neunkirchen den Lebensunterhalt. Es handelt sich um das größte und nördlichste Verbreitungsgebiet der Schwarzföhren in Mitteleuropa, die hier zu Maria Theresias Zeiten angepflanzt wurden. Um das Harz (Pech) zu gewinnen, wurde der Stamm oberflächlich verwundet und dadurch der Harzfluss angeregt. Raffinerien und Siedereien verarbeiteten das Harz zu Terpentinöl und Kolophonium. Heute gibt es nur noch acht Pecher, die letzte Fabrik Mitteleuropas befindet sich in Niederösterreich. Die Pecherei steht auf der UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes - wie auch die Köhlerei. Dabei wird mittels trockener Destillation Holz unter Luftabschluss erhitzt, um möglichst reinen Kohlenstoff zu erhalten. Mit Holzkohle konnten die eisenverarbeitenden Gewerbe viel höhere Temperaturen erreichen als mit Holz. In Österreich üben heute nur noch 15 Personen die Köhlerei aus, wobei Rohr im Gebirge mit sechs Betrieben ein Zentrum darstellt.

Verschwunden sind die Waldglashütten, die vom 12. bis ins 17. Jahrhundert grünliches Glas für Butzenscheiben herstellten. Quarzsand und die doppelte Menge Pottasche bildeten die Rohstoffe. Man gewann sie aus Eiche, Buche oder Fichte und Pflanzen wie Farnkraut. Für 1 kg Glas benötigte man ca. 1 Raummeter Holz zur Pottasche-Herstellung und zum Heizen der Öfen. Eine Glashütte verbrauchte jährlich das Holz von 20 bis 30 ha Wald. Nach dem Kahlschlag wanderte der Glaserzeuger weiter, Ackerbauern und Viehzüchter konnten das so gewonnene Land für ihre Wirtschaft und Siedlungen nutzen.

Ein ganz eigenes Kapitel ist die Waldnutzung durch die Jagd. Sie war seit dem Mittelalter ein adeliges Privileg. Damals entstand auch der Beruf des Jägers, der im Sinne seines Arbeitgebers jagdliche und hegerische Tätigkeiten ausführt. Sein Widerpart, der Wilderer, wurde als sozialer Rebell und Symbolfigur gegenüber den Herrschenden in Liedern besungen und (Heimat-)filmen dargestellt. Doch handelt es sich bei dem - oft als romantisches Vergnügen dargestellten - Wilddiebstahl um ein kompliziertes soziales Phänomen. Darauf hat besonders der Soziologe Roland Girtler hingewiesen, der in St. Pankraz (Oberösterreich) ein eigenes Wilderermuseum eingerichtet hat.

Erschienen in: Schaufenster Kultur.Region, 2012


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