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Norbert Gstrein#

* 3. 6. 1961, Mils (Tirol)


Schriftsteller

Norbert Gstrein
Norbert Gstrein, Foto 2003
© E. Malter

Norbert Gstrein wurde als Sohn des Hoteliers und Schischulleiters am 3. Juni 1961 in Mils bei Imst (Tirol) geboren und wuchs mit seinen 5 Geschwistern – darunter der später Schirennläufer Bernhard Gstrein - in Vent auf.

Nach dem Besuch der einklassigen Volksschule in Vent besuchte er das Realgymnasium in Imst (anfangs im Internat des dortigen Kapuzinerklosters untergebracht), wo er 1979 maturierte.
Von 1979 bis 1984 absolvierte er ein Studium der Mathematik in Innsbruck, das er mit der Diplomarbeit "Ausgleichung von Rückwärts- und Vorwärtseinschnitten für die Rechenanlage CYBER 74 (CDC)" (Basic-Programm zur Gletschervermessung) abschloss. Anschließend studierte er an der Stanford University in Palo Alto (USA), schloss 1988 ein Semester Studium in Erlangen an und stellte seine sprachphilosophische Dissertation "Zur Logik der Fragen" fertig.

Ab 1983 veröffentlichte Norbert Gstrein Texte in Tiroler Zeitschriften und nahm an Redaktionssitzungen der Zeitschrift Lufballon teil.

1988 machte der damals 27-Jährige mit einem fulminanten Debüt von sich reden: seine schmale Erzählung "Einer" wurde gleichermaßen für ihren Stoff, die Geschichte eines jugendlichen Außenseiters in einem Tiroler Bergdorf, wie für ihre Erzählweise gerühmt. Es wird konsequent aus der Perspektive der Mitmenschen erzählt, ohne Erklärungen und übergeordnete Instanz. Dieses Verfahren hat Norbert Gstrein in seinen folgenden Büchern weiter verfeinert - er veröffentlicht Erzählungen und Romane, die sich nie scheuen, große Themen aus ungewohnten Perspektiven zu behandeln; sein literarisches Schaffen erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen.

Er war als Stipendiat des Literarischen Colloquiums in Berlin (1989), als Stadtschreiber in Graz (1990), hatte 1991 wechselnde Aufenthalte in Kalifornien, Bruck an der Mur und Kroatien. 1993 lebte er in Paris, 1995 in der Schweiz, danach bis 1999 in London und auf der Isle of Man. Nach einem kurzen Aufenthalt in Wien übersiedelte er 2000 nach Hamburg, wo er heute mit Frau und Tochter wohnt – unterbrochen nur durch kurze Aufenthalte im ehemaligen Jugoslawien, New York, London und Argentinien.

Auszeichnungen, Preise (Auswahl)#

  • Literaturförderpreis der Freien Hansestadt Bremen, 1989
  • Rauriser Literaturpreis, 1989
  • Preis des Landes Kärnten beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, 1989
  • Förderpreis des Friedrich-Hölderlin-Preises, 1994
  • Berliner Literaturpreis, 1994
  • Alfred-Döblin-Preis, 1999
  • Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung, 2001
  • Uwe-Johnson-Preis, 2003
  • Franz Nabl-Preis der Stadt Graz, 2004
  • Anton-Wildgans-Preis, 2014

Werke (Auswahl)#

  • Einer. Erzählung, 1988
  • Anderntags. Erzählung, 1989
  • Das Register. Roman, 1992
  • O2. Novelle, 1993
  • Der Kommerzialrat. Bericht, 1995
  • Die englischen Jahre. Roman, 1999
  • Selbstportrait mit einer Toten, 2000
  • Was war und was ist. Reden zur Verleihung des Literaturpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung am 13. Mai 2001 in Weimar, 2001
  • Fakten, Fiktionen und Kitsch beim Schreiben über ein historisches Thema. Wiener Rede, 2003
  • Das Handwerk des Tötens. Roman, 2003
  • Wem gehört eine Geschichte? Fakten, Fiktionen und Beweismittel gegen alle Wahrscheinlichkeit des wirklichen Lebens, 2004
  • Die Winter im Süden, 2008
  • Die ganze Wahrheit. Roman, 2010
  • In der Luft. Drei lange Erzählungen, 2011
  • Eine Ahnung vom Anfang, 2013


Leseprobe#

aus
Norbert Gstrein - "Die Winter im Süden."

Damit zog er seine Brieftasche hervor und zeigte ihm das Photo von Nina, das er ihr irgendwann einmal abgeschwatzt hatte und seither mit sich trug. Er hatte Leute nie gemocht, die das taten, aber jetzt war er selbst einer von denen und hielt es ihm hin, als wäre es eine Erklärung für alles, ein unspektakuläres Portrait, das er wegen ihres gerade im Ansatz erkennbaren Lächelns mochte und einmal nach einem Streit zerfetzt und dann gleich wieder so penibel zusammengeklebt hatte, daß die feinen Risse durch das Gesicht kaum mehr zu sehen waren. Der Alte nahm es wie eine Gabe in beide Hände, und Ludwig konnte nicht sagen, was ihn daran störte, aber es war auch die Art und Weise, wie er dann meinte, sie sei ein Engel, die altherrenhafte Verstaubtheit dieser Formulierung, die jede Anzüglichkeit ausschließen sollte und gerade dadurch etwas Verschwitztes hatte. Während er ihm das Photo zurückgab, erzählte der Alte, daß seine erste Frau und ihre gemeinsame Tochter von den Kommunisten umgebracht worden seien, und er legte nicht nur wie Claudia seine ganze Verachtung in das Wort, es war auch klar, daß er damit eine Verbindung herstellen wollte, eine Komplizenschaft auf der Basis eines ähnlichen Schicksals, mochte der Vergleich noch so bemüht sein. Er sagte nichts weiter darüber, und Ludwig hatte keine Zeit nachzufragen, weil da schon sein Angebot kam, fünfhundert Dollar in der Woche, bar jeden Samstag, am Sonntag frei und ein Appartement in der Stadt, über das er verfügen konnte. Seine Aufgaben ließ er im unklaren, er weihte ihn nur so weit ein, daß er seine Rückkehr nach Kroatien plane und daß er dabei jemanden wie ihn gern um sich hätte, was er mit einem Schlag auf die Schultern bekräftigte.
(S. 47f)

© 2008 Carl Hanser Verlag, München.
LITERATURHAUS
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags

Weiterführendes#

Quellen#


Redaktion: I. Schinnerl