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"Wir sind ein Planet der Bakterien"#

Der Biochemiker Gottfried Schatz zu Leben mit und ohne Licht, auf anderen Planeten und unter der Erde#


Von der Wiener Zeitung (Samstag/Sonntag, 13./14. Juli 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Eva Stanzl


"Das Leben ist deswegen so stabil, weil es nie im Gleichgewicht ist."#

Sonnenenergie
Sonnenenergie prägt den Menschen von Anfang an.
© epa

"Wiener Zeitung": Warum konnte Leben gerade auf der Erde entstehen? Musste es entstehen, weil die Bedingungen besonders günstig waren?

Gottfried Schatz: Die Chance, dass ungeordnete, einfache Moleküle sich spontan zu komplexeren, hochgeordneten Molekül-Aggregaten zusammenfügen, ist natürlich unendlich gering. Aber wir vermuten, dass das Experiment Leben auf der Erde dennoch erfolgreich sein musste. Erstens konnten sich viele wichtige Moleküle aufgrund der Blitze und vulkanischen Entladungen der Ur-Atmosphäre auf unserem Planeten bilden und zusammenschließen. Zweitens könnten gewisse Gesteinsoberflächen chemische Reaktionen erleichtert und die Bildung von komplexen Aggregaten befördert haben. Zudem brauchte bloß ein einziges von unendlich vielen, über Jahrmillionen durchgeführten "Experimenten" zu funktionieren, um den Funken des Lebens zu zünden.

Wenn wir nun den Funken des Lebens dingfest machen wollen: Wie würden Sie ihn beschreiben?

Es ist schwer, Leben zu definieren. Forscher der Nasa beschreiben es als chemisches System, das sich selbst reproduziert und durch zufällige Variation und Selektion immer komplexer wird. Jedoch ist es sehr gut möglich, dass es völlig anderes Leben gibt, das wir wahrscheinlich gar nicht erkennen würden, selbst wenn wir es fänden.

So könnte ich mir Lebensformen vorstellen, die auf elektrischer Basis funktionieren.

Wie dürfen wir uns das vorstellen?

Es könnten strukturierte elektrische Felder sein, die sich gegenseitig beeinflussen und selber reproduzieren. Allerdings müssen wir uns vor Augen halten, dass wir mit unseren Vorstellungen an das gebunden sind, was wir kennen, und für völlig neuartige Formen von Materie oder Organisation keine Koordinaten besitzen.

"Curiosity" erkundet seit einem Jahr den Mars, doch die Nasa baut schon einen neuen Rover. Wie sinnvoll ist die Suche nach Leben auf dem Roten Planeten?

Die Suche nach Leben auf fremden Himmelskörpern ist in der Tat unendlich schwierig und aufwendig. Dennoch hat man auf dem Mars Hinweise gefunden, dass er einmal sehr viel Wasser und wahrscheinlich eine dichtere Atmosphäre hatte - jetzt aber greisenartig erstarrt ist. Das Interessanteste haben Sonden auf zwei Monden von Saturn und Jupiter entdeckt, die zum Teil unterirdische Meere und Geysire haben. Es ist absolut möglich, dass auf Titan und Ganymed Leben existiert, oder sich gerade zusammenbraut. Die Monde haben eine Atmosphäre mit Gasen, deren Reaktionen Energie liefern könnten. Ein Problem ist die niedrige Oberflächentemperatur, unter der Oberfläche könnte aber der radioaktive Zerfall von schweren Elementen für freundlichere Temperaturen sorgen.

Ein Großteil des Lebens auf der Erde besteht aus Einzellern. Wozu?

Wir sind ein Planet der Bakterien. Mindestens die Hälfte, wenn nicht zwei Drittel der lebendigen Masse auf der Erde sind bakterienähnliche, einzellige Lebewesen, vor allem in den Weltmeeren. Auch unser Körper enthält 10 bis 20 Mal mehr Bakterienzellen, als er menschliche Zellen enthält, oder ein bis zwei Kilo. Etwa 99 Prozent von allen auf der Erde lebenden Bakterien haben wir noch gar nicht identifiziert.

Wie halten wir es mit dem Energieverbrauch?

Pro Gramm Masse und pro Zeiteinheit setzen Einzeller etwa gleich viel Energie um wie Mehrzeller. Ein mehrzelliges Lebewesen setzt aber auf beschränktem Raum mehr Energie um - etwa weil es Sauerstoff durch das Blut an alle Zellen liefert. Ein Gramm Bakterien oder ein Gramm unseres Körpers setzen jedenfalls pro Sekunde 10.000 Mal mehr Energie um als ein Gramm unserer Sonne. Wir sind eine intensive Materie: Vom All betrachtet, strahlt unser Planet viel Wärme ab, die von Lebewesen stammt, die sich direkt oder als Teil einer Nahrungskette von Sonnenlicht ernähren und dessen Energie in Wärme verwandeln. Dies würde eine nachhaltige Energiebilanz ergeben, würden wir nicht fossile Ablagerungen verbrennen und somit Kohlendioxid erzeugen. Diese Energierreserven haben Pflanzen vor Jahrmillionen eingefangen und bei ihrem Tod im Inneren der Erde abgelagert. Jeder Liter Erdöl entspricht vielen Jahren eingestrahlter Sonne.

Gibt es Leben ohne Licht?

Es gibt viele Lebewesen, die nicht direkt Licht benötigen. Wir Menschen etwa brauchen kein Sonnenlicht, um uns zu ernähren, sondern ernähren uns von Organismen, die Licht einfangen. Wir sind Teil einer Nahrungskette, die mit Pflanzen beginnt und über Kühe bis zu uns bis hin zu den Mücken reicht, die sich von uns ernähren. Es gibt aber auch Lebewesen, die nicht Teil einer Nahrungskette sind, die mit Sonnenlicht beginnt. Tief im Erdinneren hat man Bakterien gefunden, die seit Jahrmillionen petrochemische Prozesse als Energiequelle verwenden. Wahrscheinlich sind sie primitiven Lebewesen sehr ähnlich, die sich zuerst auf unserem Planeten gebildet haben. Würde man sie an die Erdoberfläche bringen, würden sie vermutlich sofort sterben.

Forscher haben Spuren von Bakterien im Wostoksee nachgewiesen, der seit 15 Millionen Jahren unter dem Eis der Antarktis liegt, die normalerweise auf Fischen leben. Halten Sie Fische in diesem urtümlichen Habitat für plausibel?

Das Leben findet immer einen Weg, sich fortzupflanzen und kann unter ganz ungewöhnlichen Bedingungen existieren. Es muss Lebensformen geben, die uns völlig bizarr erscheinen, auch auf unserem eigenen Planeten. Je komplexer das Leben aber wird, desto unwahrscheinlicher wird es, dass es sich unter solch unwirtlichen Bedingungen fortsetzt.

Gibt es Leben, das den Gesetzen der Evolution nicht folgt?

Das hängt davon ab, was Sie unter "Evolution" verstehen. Ich vermute, dass unsere Vorstellungen darüber unvollständig sind und vieles noch der Entdeckung harrt. Heute bedeutet Evolution Anpassung und das Entwickeln immer komplexerer Formen. Auf der Erde ist das ein Kampf zwischen verschiedenen Lebensformen. Wenn sich eine Spezies optimal angepasst hat, verändert sie ihr Umfeld. Das Leben, das wir kennen, ist deswegen so stabil, weil es nie im Gleichgewicht ist, da Leben und Umwelt in einem steten Wechselspiel stehen, das nicht zur Ruhe kommen kann. Wenn die Evolution aufhörte, bliebe das Leben über Jahrmillionen gleich. Auch das ist vorstellbar. Nur haben wir ein derartiges System noch nicht gefunden.

Gottfried Schatz
Gottfried Schatz
Quelle: Wiener Zeitung

Zur Person#

Gottfried Schatz

geboren 1936 im burgenländischen Strem, ist einer der bedeutendsten Biochemiker unserer Zeit. Er studierte Chemie und Biochemie an der Universität Graz und forschte an der Uni Wien, an der Cornell University in den USA und am Biozentrum der Universität Basel. Er war Mitentdecker der mitochondrialen DNA und klärte den Mechanismus des Proteintransports in Mitochondrien auf.

Wiener Zeitung, Samstag/Sonntag, 13./14. Juli 2013


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