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Bauliche Zeitreise: Vom 20er zum 21er Haus#

Historisches, gelungen ins Heute geholt. Bestes Bauwerk bei der Weltausstellung 1958 in Brüssel, seit 2008 im Umbau inklusive neuem Turm als Bürogebäude.#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: Die Presse (Montag, 8. August 2011)

Von

Liesbeth Waechter-Böhm


Er heißt jetzt „21er Haus“ und soll, einer optimistischen Presseinformation zufolge, am 20. September fertiggestellt sein, der denkmalgeschützte ehemalige Weltausstellungspavillon des Karl Schwanzer, den Adolf Krischanitz seit 2008 nicht nur generalsaniert, sondern flächenmäßig deutlich erweitert hat. Noch kann man sich diese Fertigstellung innerhalb einer Monatsfrist zwar schwer vorstellen, und in allen Teilen der neuen Anlage wird das auch nicht der Fall sein, aber Baustellen haben das so an sich, dass sie bis fast ganz zum Schluss unfertig und chaotisch wirken, um dann in letzter Sekunde doch noch zu mutieren.

Schwanzers auf der Weltausstellung in Belgien 1958 als bestes Bauwerk preisgekrönter Pavillon hat lange Jahre ein ziemlich trauriges Dasein gefristet. Die Zeiten, da jeder Wiener Kunstinteressierte ins „20er Haus“ pilgerte, um zeitgenössische Kunst sehen zu können, waren vorbei. Werner Hofmann und Alfred Schmeller hatten diese spannende Aufgabe in den Sechziger- und Siebzigerjahren noch erfüllt, als Ausstellungshaus des Museums Moderner Kunst im Palais Liechtenstein rückte es jedoch zunehmend an die Peripherie der Kunstrezeption. Und nach der Eröffnung des MUMOK im Museumsquartier schien seine Lebensfrist endgültig abgelaufen.

Diese düstere Perspektive wird sich schon bald, das darf man guten Gewissens prophezeien, in Wohlgefallen auflösen. Auch die Österreichische Galerie im Belvedere ist schließlich unter der Direktion Agnes Husslein-Arco in den Fokus des Interesses von Einheimischen und Touristen gerückt, das sollte für die österreichische Kunst seit 1945 ebenfalls gelingen. Und schließlich ist da noch die Wotruba-Stiftung – immerhin 500 Skulpturen aus Stein, Bronze und Gips, 2.500 Zeichnungen, 1.500 druckgrafische Blätter und 14 Ölbilder sowie die Artothek, die Kunstsammlung des Bundes, untergebracht in einem Schaudepot, das rund 33.000 Werken Raum bietet.

Damit ist der Schlüsselbegriff gefallen: Raum. Adolf Krischanitz, übrigens Schwanzer-Schüler, verfügt nicht nur über einen reichen Erfahrungsschatz im Umgang mit historischer, moderner Bausubstanz (Werkbundsiedlung, Secession), er ist vor allem ein Architekt der räumlichen Konzepte. Die heute immer so abgefeierte Handschriftlichkeit in der Architektur ist ihm gar kein Anliegen. Er denkt kontextuell und in räumlichen Kategorien, die Bedeutungen schaffen.

Für den Schwanzer-Pavillon hat das zur Folge, dass er zwar als Solitär besser dasteht denn je, dass er aber in ein visuell völlig sekundäres, räumliches Netzwerk eingebunden ist. Dieses Netzwerk schafft allerdings erst die Möglichkeit für einen zeitgemäßen Ausstellungsbetrieb.

Die Eingangssituation ist neu. Krischanitz hat das Untergeschoß ausgegraben, also sichtbar gemacht, man geht über eine Brücke ins Haus hinein. Der breite Graben, auf den man hinunterblickt, ist einerseits Erweiterung der dort situierten Wotruba-Stiftung, andererseits Terrasse für das Café/Restaurant. Letzteres wird Hermann Czech realisieren, und das kann man durchaus als eine späte Wiedergutmachung für den Sündenfall des MAK betrachten.

Krischanitz hat das Flächenpotenzial des Hauses praktisch vervierfacht, indem er zwei Untergeschoße ganz beziehungsweise teilweise nutzbar macht. Aber es ist keine Kellersituation, die er schafft, sehr intelligent gesetzte räumliche Einschnitte holen Licht in diese Bereiche. Das bedeutet, dass die beiden Skulpturengärten, die immer schon eine Qualität des Hauses waren, unten ausgehöhlt sind. Es bedeutet aber auch eine räumliche Komposition, die nicht gegen, sondern mit dem Geländeverlauf des Schweizergartens arbeitet.

Neben dem Schwanzer-Bau steht jetzt ein Turm. Er hat sechs Ebenen und genau die Proportion des neuen Tiefhofes, nur in die Höhe geklappt. Formal zitiert Krischanitz die Schwanzer-Fassade, bringt sich also nicht mit seiner individuellen Sprache ein. Trotzdem schafft er damit ein Signal, das öffentlich wirksam ist, das sich auch gegen die künftige Verbauung der Arsenalstraße – Zentralbahnhof und was die Stadtentwicklung in seinem Gefolge mit sich bringen wird – behaupten muss. Außerdem: Um einen zeitgemäßen Ausstellungsbetrieb abzuwickeln, dafür braucht man heutzutage auch Büros (und Mitarbeiter). Dafür war im alten „20er Haus“ nie Platz.

Es gibt also das Signal des Turms und die viel spannender inszenierte Eingangssituation in den Schwanzer-Bau. Damit rückt das Haus vor, es rückt ein Stück Richtung Öffentlichkeit, es kann von vornherein einen Bedeutungsbonus verbuchen. Und das ist vielleicht das größte Verdienst des Krischanitz-Konzepts.

Der Schwanzer-Bau selbst hat dem Architekten eine Fülle von Detailproblemen beschert. Es muss ein österreichisches Spezifikum sein, dass wir Gebäude immer so weit verfallen lassen, bis es zu einer Affäre wird, sie wieder instand zu setzen. Das beginnt bei den tragenden vier Stützen im Hauptraum, die den heutigen Erdbebensicherheitsbestimmungen nicht mehr entsprechen und (unsichtbar) verstärkt werden mussten. Es setzt sich bei den Gipsplatten für die Decke fort, die ein sehr kleinteiliges Rastermuster haben, das heute kein Mensch mehr macht. Sie wurden nachgegossen. Die Drahtverglasung des zentralen Raums gibt es ebenfalls nicht mehr, sie wäre gar nicht erlaubt; das Problem wurde mit einer Bedruckung gelöst. Die Fassadenverglasung, die für diesen wunderbar japanisch anmutenden Lichtfluss sorgt, konnte wärmetechnisch gar nichts. Sie besteht jetzt aus zwei Schichten Rohglas mit einer vier Zentimeter starken Dämmung aus Glasfaser dazwischen. Der Eindruck drinnen ist unverändert, die isolierende Wirkung ein Vielfaches. Der ursprüngliche Quarzitboden wird nun wiederhergestellt, er musste in China gekauft werden. So könnte man weiter fortfahren.

Und dazu kommen die Brandschutzbestimmungen. Der wesentlichste Eingriff von Krischanitz in den ursprünglichen Schwanzer-Entwurf bezieht sich daher auf die Treppen. Sie waren frei, offen, jetzt sind sie eingehaust. Aber das war die Voraussetzung, um das Einraumkonzept dieses Hauses erhalten zu können, noch ergänzt durch eine Brandschutzmaßnahme, bei der brandsichere Vorhänge aus der Decke fallen. Das ist eine relativ neue Entwicklung und war in diesem Fall gewissermaßen die Rettung. Es wäre sonst nicht möglich gewesen, das charakteristische räumliche Kontinuum des Schwanzer-Pavillons mit all seiner Offenheit in unsere Zeit herüberzuretten.

Wie gesagt, Krischanitz hat auf diesem Gebiet nach Werkbundsiedlung und Secession reichlich Erfahrung. Trotzdem dürfte es nicht allzu viele Architekten geben, die sich auf der Höhe ihrer eigenen Arbeit auf eine solche Zeitreise einlassen.

Die Presse, Montag, 8. August 2011