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unbekannter Gast

Über den Umgang mit unseren politischen Symbolen#

Von Peter Diem und Manfried Welan

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Dieser Beitrag stammt aus der Festschrift für Hans R. Klecatsky:

Franz Matscher / Peter Pernthaler / Andreas Raffeiner (Hrsg.)
Ein Leben für Recht und Gerechtigkeit
Festschrift für Hans R. Klecatsky zum 90. Geburtstag
978-3-7083-0705-3, Erscheinungsjahr 2010
922 Seiten, gebunden, 98,00 €

Neuer wissenschaftlicher Verlag http://www.nwv.at/

Ein merkwürdiger Obelisk#

Staatsgründungsdenkmal (mit Klick vergrößern!) © Peter Diem
Das Staatsgründungsdenkmal

1. Vorgeschichte#

Wenn man vom Landstraßer Gürtel und von der Arsenalstraße kommend den Schweizergarten im Dritten Wiener Gemeindebezirk auf einem namenlosen Weg betritt, so fällt einem in der Wiese auf der linken Seite eine Metallsäule auf. Nur wenige Menschen auf der ganzen Welt kennen diesen merkwürdigen Obelisken. Noch weniger wissen, dass das unser „Staatsgründungsdenkmal“ ist. Wer es als erster so genannt hat, weiß man nicht, aber es wird so in einschlägigen Informationen und Büchern geführt. Am Beginn des namenlosen Weges stehen Wegweiser zum „Belvedere“ und zum „Heeresmuseum“. Einen Hinweis auf das Staatsgründungsdenkmal gibt es ebenso wenig wie einen Hinweis auf die 35 Meter vor dem Denkmal liegende Unabhängigkeitserklärung. 1964 hatte sich in Wien ein Dr. Karl-Renner-Denkmal-Verein konstituiert. Aufgrund eines geladenen Wettbewerbs vergab er den ersten Preis für ein Denkmal mit der Zusicherung an den Wiener Bildhauer Heinrich Deutsch. Bedingung der Ausschreibung durch den Verein war es erstens, Gründung (1918) und Wiedererrichtung (1945) der Republik Österreich, an der Karl Renner maßgeblich Anteil hatte, künstlerisch zum Ausdruck zu bringen, und zweitens, den Text der österreichischen Unabhängigkeitserklärung „inschriftlich in die Komposition des Denkmals aufzunehmen.“ Diesen beiden Bedingungen sollte durch eine aus zwei Bögen emporwachsende Säule vor einer leicht geschwungenen Mauer mit dem Text vom 27. April 1945 entsprochen werden. Doch die Rathausmehrheit konnte sich nicht durchringen, dieser Gestaltung an der Ecke Stadiongasse-Ring ihre Zustimmung zu geben.

2. Staatsgründer- oder Staatsgründungsdenkmal?#

Hans R. Klecatsky war Bundesminister für Justiz in der ÖVP-Regierung 1966-1970. Am 6. März 1966 hatte die ÖVP bei der Nationalratswahl die absolute Mehrheit erreicht. Schon am 19. April 1966 erfolgte der Amtsantritt der Regierung Klaus. In dieser Zeit, nämlich am 25. Oktober 1966, wurde im Schweizer-Garten, im dritten Wiener Gemeindebezirk, ein Denkmal enthüllt.
Darüber gibt es im Webservice der Stadt Wien über das Jahr 1966 bezogen auf den 25. Oktober unter der Überschrift Staatsgründungsdenkmal Schweizer Garten folgende Notiz:
„Am Vorabend des Nationalfeiertags wurde heute zur Erinnerung an das Werk von Bundespräsident Dr. Karl Renner, Begründer der Ersten und Der Zweiten Republik, ein Staatsgründerdenkmal im Schweizer Garten von Bürgermeister Marek in die Obhut der Stadt Wien übernommen.
Der Entwurf zu dem Denkmal stammt von der Arbeitsgemeinschaft Heinrich Deutsch und Architekt Berthold Gabriel, die bei dem seinerzeit vom Dr. Karl Renner-Denkmalverein ausgeschriebenen Wettbewerb den ersten Preis erringen konnte. Das Denkmal wurde aus rostfreiem Chromnickelstahl ausgeführt, ist zwölf Meter hoch und symbolisiert die Begründung der österreichischen Republik im Jahr 1918 und ihre Wiedererstehung im Jahr 1945.“
Es ist also hier ausdrücklich von einem „Staatsgründerdenkmal“ die Rede.
In der Arbeiter-Zeitung vom 26. Oktober 1966 ist dagegen vom „Staatsgründungsdenkmal“ die Rede.
„Am Dienstag, 25. Oktober 1966 wurde am Nachmittag im Schweizer Garten in Anwesenheit des Zweiten Nationalratspräsidenten Waldbrunner, Bürgermeisters Marek, des Vorsitzenden der Sozialistischen Partei, Dr. Pittermann, zahlreicher politischer Mandatare und des Schöpfers, des Bildhauers Heinrich Deutsch das Staatsgründungsdenkmal enthüllt.
„Dieses Denkmal ist dem Lebenswerk des zweimaligen Gründers der Republik Österreich, Dr. Karl Renner, gewidmet,“ sagte Dr. Pittermann in einer Ansprache vor dem Denkmal. „Dr. Renner wurde immer gerufen, wenn die Not Österreichs am größten war. Das Vertrauen der demokratischen Welt zum Demokraten Renner hat bewirkt, dass der Ratschlag Otto Habsburgs an Truman wirkungslos blieb, die provisorische Staatsregierung im Jahre als kommunistenhörig nicht anzuerkennen. Die Anerkennung der Regierung Renner als Gesamtregierung des geteilten Österreichs hat dem Österreichischen Volk das Schicksal der Zerrissenheit erspart, das andere Völker noch immer tragen müssen.
Dieses Denkmal soll aber auch von jenen künden, die ihre Freiheit und ihr Leben für die Befreiung Österreichs von der Diktatur eingesetzt haben. Denn die Gründung der Republik Österreich war das Werk von Menschen, die sich, geächtet und gejagt, der Diktatur zum Trotz in ihren früheren Parteien vereinigt hatten. In den Jahren der Verfolgung fanden sie zur unzertrennlichen Gemeinschaft des österreichischen Volkes.“
Nach Dr. Pittermann ergriff Bürgermeister Marek das Wort:
„Das Denkmal sollte die Jugend ermahnen, in der Demokratie mitzudenken und mitzusprechen, um Österreich vor der Diktatur zu bewahren. Mit einem Dank an die Widerstandsbewegung, die im Kampf für Österreich Vorbild sein soll, übernahm der Bürgermeister das im Scheinwerferlicht kühn zum Himmel ragende Denkmal in die Obhut der Stadt Wien.“
Die Wiener Zeitung vom 26. Oktober war weniger ausführlich. Auch hier wurde der Vorsitzende der SPÖ, Vizekanzler a.D. Abg. Dr. Pittermann, zitiert. Er habe darauf hingewiesen, dass dieses Denkmal dem Lebenswerk Dr. Karl Renners gewidmet sei, der zweimal wurde, als die Not Österreichs am größten war und als der zweimalige Gründer der Republik gelte. „Das Denkmal soll aber auch für immer von jenen künden“, sagte er, „die ihre Freiheit und ihr Leben für die Befreiung Österreichs von der Diktatur eingesetzt hatten.“ Denn die Gründung der Republik sei das Werk von Frauen und Männern gewesen, die sich, geächtet und gejagt, der Diktatur zum Trotz, in ihren früheren politischen Parteien vereint hatten.“ In diesen Jahren der Verfolgung haben sie zur unzertrennlichen Gemeinschaft des österreichischen Volkes gefunden, das aus dieser Kampfgemeinschaft des Widerstandes eine neue Sendung für alle Zukunft empfangen hat.“
Unter der bei der Enthüllung Anwesenden wurden auch die Tochter Karl Renners, Frau Poldi Deutsch-Renner, und der zweite Präsident des Nationalrates, Dipl.-Ing. Waldbrunner angeführt. Offensichtlich waren von der Regierungspartei ÖVP keine Funktionäre erschienen. Wahrscheinlich waren sie auch nicht eingeladen worden.
Halten wir also fest:

--> 1. In der Zeit zwischen der Grundsteinlegung (27. 4. 1965) und der Enthüllung des Renner-Denkmals am Ring (27. 4. 1967), nämlich am Tag vor dem Nationalfeiertag 1966 (25. 10. 1966), wurde im Schweizergarten nicht wie ursprünglich geplant eine Granitskulptur sondern eine (billigere) Konstruktion aus Chromnickelstahl mit Schliffornamenten errichtet.
--> 2. Das Monument wurde in den Eröffnungsansprachen eindeutig dem Lebenswerk des zweimaligen „Taufpaten“ der Republik Österreich, Karl Renner, zugeordnet und als „Staatsgründerdenkmal“ bezeichnet, was ja auch den Ausschreibungsbedingungen des Denkmals entsprach.
--> 3. Auf Betonpulten weit entfernt von der Doppelstele findet sich der Text der fünf Artikel der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945. Sie wurden später weiter in den Rasen hinein versetzt, weil sie durch die vor ihnen stehenden Parkbänke jahrelang nicht gut lesbar waren.

Wie bei den meisten Denkmälern Wiens und Österreichs fehlt jeder Hinweis auf den Schöpfer des Werks sowie auf den Anlass der Errichtung und die Intention des Monuments. Im konkreten Fall müsste ein solcher Hinweis freilich das Eingeständnis beinhalten, dass das Denkmal von den Stadtvätern als „zu modern“ für die Ringstraße angesehen worden war und daher unter der Verlegenheitsbezeichnung „Staatsgründungs-Denkmal“ im Schweizergarten („Da sieht man es weniger!“) aufgestellt wurde. Schon in den Zeitungsberichten vom Tag nach der Enthüllung und in der Folge war ausschließlich vom „Staatsgründungsdenkmal“ die Rede.

Vielleicht führt der Bau des Wiener Hauptbahnhofs auf dem Gelände des jetzigen Sündbahnhofs zu einer größeren Sichtbarkeit dieser interessanten Umsetzung des Gedankens der Schaffung beider Republiken durch Karl Renner.
Jetzt ist das ganze Ensemble lieblos zusammengesetzt. Man fragt sich, warum die Unabhängigkeitserklärung so weit vom Staatsgründungsdenkmal entfernt ist? Sie ist doch die Rechtsgrundlage der Staatsgründung, 1945, ja diese selbst? Gab es keine Rasenfreiheit für den Grundstein unseres Gemeinwesens? Wollte man keinen Zugang zum Denkmal gewähren und die Schriftpulte unmittelbar neben den namenlosen Weg im Schatten von Parkbänken lagern?
Nicht im Zentrum, nicht im Ersten Wiener Gemeindebezirk, nicht am Ring und nicht auf dem Heldenplatz stehen Unabhängigkeitserklärung und Staatsgründungsdenkmal, sondern weit draußen, außerhalb des Gürtels.
Das Staatsgründungsdenkmal steht nicht neben dem Republikdenkmal. Es steht ihm auch nicht wie der Rennerkopf gegenüber auf der anderen Seite, Stadion Gasse-Ring.
Beide Denkmale sind auch nicht wie der „Stein der Republik“ im Gefüge des Mahnmals gegen Krieg und Faschismus vor der Albertina auf dem Helmut-Zilk-Platz zu finden.
Nein, die erste Verfassung unserer Zweiten Republik und mit ihr das Staatsgründungsdenkmal sind abgelegen als hätte man ihr Gedächtnis abgelegt.

Siehe auch Staatsgründungsdenkmal


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