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Die alte Stadt-Kulisse oder Lebensraum (Essay)#

Text und Bilder von

Peter Laukhardt

Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von

ISG Magazin Heft 1 / 2003 (Internationales Städteforum Graz)


Vor 30 Jahren startete die Aktion „Rettet die Grazer Altstadt"#

Gerettet: Frauengasse 2-4.
Gerettet: Frauengasse 2-4.

In diesen Wochen feierte Graz vor den Augen der Welt die Erhebung zur „Kulturhauptstadt Europas". Schon der 1. Dezember 1999 war ein Höhepunkt für das urbane Selbstbewußtsein der Graz gewesen, als die Altstadt mit dem Schloßberg in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen wurde. Diese Würdigungen wären wohl nicht denkbar geworden, wenn sich nicht vor vielen Jahren die Bürger gegen die schleichende Zerstörung der Altstadt zur Wehr gesetzt hätten.Während in dem kürzlich im Haus der Architektur in Graz abgehaltenen Symposium bereits gefragt wurde, ob die Stadt als Ort gesellschaftlicher Auseinandersetzung und Integration nicht neu erfunden werden muß und wann die neuen „Urban entertain-ment Centers" den „musealen Innenstädten" den Garaus gemacht haben werden, ist ein wichtiges Jubiläum seitens der Grazer Öffentlichkeit beinahe vergessen worden.

Auch zur Einstimmung auf den im Mai 2003 in Graz stattfindenden ISG-Kongreß „Form und Funktion der Altstadt" scheint ein kurzer Rückblick angebracht. Am 1.10.1972 war die Aktion „Rettet die Grazer Altstadt" gestartet worden, eine Initiative, die hauptsächlich von der „Kleinen Zeitung" mit ihrem damaligen Chef vom Dienst, unserem heutigen Ehrenpräsidenten, Prof. Max Mayr, getragen wurde. 107.571 Unterschriften aus vielen Ländern wurden gesammelt, die Ziele waren: Rettung und Aktivierung wertvoller Bauten, Schaffung von Fußgängerzonen, Bau von Tiefgaragen am Rande der Altstadt, Verbesserung des öffentlichen Verkehrs. 1972 ist es dadurch gelungen, den Landhaushof vor dem Einbau einer Tiefgarage zu retten (damit er von Autos frei gemacht wurde, sammelte später eine Grazer Aktivbürgerin 5.000 Unterschriften).

1. Altstadtkongreß#

1974 kam es in Graz zum 1. Internationalen Altstadtkongreß. Im selben Jahr beschloß der Steiermärkische Landtag das Grazer Altstadterhaltungsgesetz; es wurden Schutzzonen gebildet, ein Fonds eingerichtet und eine Sachverstand igen-Kommission eingesetzt.

1975 wurde anläßlich des „Europäischen Jahres des kulturellen Erbes" das Internationale Städteforum Graz gegründet und vom Institut für Umweltforschung die Studie „Re-vitalisierung einer Altstadt - am Beispiel Graz, Wohnen in der Altstadt" gestartet. Seit 1977 gibt es ein Steirisches Ortsbildgesetz. Die Liste der bedrohten und geretteten Bauwerke ist beängstigend. Aber auch heute sind wieder schnell Gutachten zur Hand, wonach die Renovierung von Altbauten unrentabel sei; so gibt es aktuell für das Bürgerhaus Sackstraße 28/30 einen Abbruchantrag. Damit wäre auch die Grazer Dachlandschaft faktisch zerstört.

Was galt es vor 30 Jahren zu schützen?#

„Klar und lückenlos, wie vielleicht kaum anderswo, spiegelt sich im Stadtbild die Entwicklungsgeschichte wider. Eine jede Stilphase ist mit charakteristischen Gruppen von Baudenkmälern vertreten, die einander ergänzend sich zu einem einheitlich geschlossenen Gesamtbild zusammenfügen", lobt der „DEHIO" Graz. Dennoch hatte Graz schon schwere Stadtbild-Verluste hinzunehmen, die wir heute nicht mehr bewußt als solche empfinden. Altstädte als Begriff werden zwar meist mit einem mittelalterliches Grundriß verknüpft; die vielerorts statt des Mauerrings errichteten Grünzonen oder Ringstraßen werden heute aber bereits als zum Stadtbild gehörig geschützt.

Eingriffe durch die „Stadtplanung" hat es nicht erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gegeben, man denke nur an den Abbruch von Vorstädten zur Schaffung von Schußfeld vor den Basteien (Glacis) im 17. Jahrhundert. Die Reihe der schweren Zerstörungen begann 1809 mit der Sprengung der Schloßbergfestung durch die Franzosen, ab 1830 wurden die Stadtmauern geschleift. Daß das gotische Burgtor und das Renaissance-Paulustor erhalten blieben, grenzt an ein Wunder.

Gründerzeit#

Gefährdet: Dachlandschaft.
Gefährdet: Dachlandschaft.

Mit der einsetzenden Industrialisierung strebte man auch die Entflechtung von Wohnen und Arbeiten an. Die Modernisierung sollte mehr Lebensqualität schaffen, die Enge der mittelalterlichen Stadt sollte überwunden werden. Die Stadterweiterung der Gründerzeit zerstörte nicht nur manches Vorstadthaus, auch der Stadtkern wurde durch den paradoxen gleichzeitigen Drang ins Zentrum einigen schönen Bürgerhäusern, Stiftshöfen und sogar Arkadenhöfen zum Verhängnis - sie mußten Platz machen für Banken, Versicherungen, Behörden und große Kaufhäuser. Die Museumsbauten verschlangen große Mittel und zerstörten einen Teil des alten Glacis mit dem Botanischen Garten, obwohl „Sponsoren" zur Rettung bereit waren.

1889 wären fast die Burgbastei, die Renaissancemauern, das Karmeliterkloster und die Nuntiatur der geplanten Parzellierung der Spitalsgründe in der Paulustorgasse geopfert worden. Vielleicht hätten wir uns heute an die Ringstraßen im Stadtpark aber schon gewöhnt? Für die neuen Verkehrsmittel (Straßenbahn) mußten Kaistraßen und Durchbrüche geschaffen werden. So fanden um 1900 fast 30 alte Häuser der nördlichen Sackstraße das Ende - 65 Jahre später fielen für die östliche Unterführung der Hauptbrücke noch einmal 10 Häuser der Neutorgasse. Graz wurde im Krieg oft, aber nicht sehr schwer von den alliierten Bomben getroffen. Die Verluste danach waren schmerzhafter, weil unnötig: So wurde z.B. das mittelalterliche Ensemble der Mehlgrube voreilig für den neuen Tummelplatz geopfert - der Regulierungsplan 1946 hatte noch die Verbreiterung mittelalterlicher Gassen und den Abbruch romantischer Innenhöfe vorgesehen („Entkernungen"). Beim nur leicht getroffenen Opernhaus wurden 1945-48 Fassadenreliefs und der Säulenportikus abgetragen. Das historisch bedeutsame Palais Khuenburg in der Sackstraße war wegen Baugebrechen seit Jahren ständig vom Abbruch bedroht, 1962 sollten hier sogar mehrere Autosilos an seine Stelle treten. Das Palais wurde schließlich gerettet und zum Stadtmuseum umgestaltet.

Fragwürdige Stadterneuerungsabsichten#

Mitte der sechziger Jahre kam ein fataler Mechanismus in Gang. Jonsers Entwurf für eine abgeräumte Fassade des Rathauses wurde zwar 1966 in einer Volksbefragung abgelehnt, aber die dringend nötige Erneuerung der Stadt sollte durch großräumige Abbruche und prestigeträchtige Neubauten vorangetrieben werden. Einwände, daß das Altstadtbild beeinträchtigt würde, wurden mit dem Hinweis abgetan, es gebe ja noch genug alte Häuser. Tatsächlich waren 850 erhal-tenswerte Häuser dokumentiert und nach einem Färbelungsplan „renoviert" worden, wodurch die Altstadt an Farbe und Prestige gewann.

Es blieb aber bei äußerlicher Kosmetik. Die 1967 im Grazer Altstadt-Symposion mit einer viel beachteten Ausstellung erhobene Forderung nach mehr Rücksicht auf die Altbausubstanz blieb vorerst ein frommer Wunsch. Realität war bis 1972 die Verständnislosigkeit gegenüber dem charakteristischen gewachsenen Erscheinungsbild und die bewußte Verwahrlosung bis zur tatsächlichen oder behaupteten Abbruchreife.

Hier einige Beispiele: Im Herbst 1967 wird am Jakominiplatz das ehemalige Kaufhaus Kraft (Arch. Leopold Theyer) demoliert und zum Dorotheum, einem heute noch störenden Fremdkörper in Sichtbeton. Es folgt der Abbruch des Gasthofes am Karmeliterplatz 2 für einen gestaltlosen Neubau der Landwirtschaftskrankenkasse. 1969 werden der Stainzerhof,Teile der mittelalterlichen Stadtmauern und das Dreigiebelhaus mit Zustimmung des Bundesdenkmalamtes und ohne besondere öffentliche Erregung zu Gunsten eines Bankneubaus abgerissen. Wenigstens wird eine gründliche bauhistorische Untersuchung ermöglicht.

1972 kommt es zum Umbau des Kaufhauses Kastner & Öhler mit Rolltreppen und nachteiliger Fassadenänderung (die erst kürzlich wieder „repariert" wurde), auch das Eiserne Haus ist durch ein Parkhausprojekt vom Abbruch bedroht, doch stellt das Bundesdenkmalamt rechtzeitig einen Schutzantrag. Nun wird das wertvolle Gebäude in den Neubau des Kunsthauses integriert. Durch eine Tiefgarage unter dem Freiheitsplatz droht der Alten Universität schwerer Schaden; die Stadt hat aber ein Einsehen und errichtet ersatzweise außerhalb des Stadtkernes die Burgring-Garage (der aber auch der Großteil der alten Kurtine zum Opfer fiel).

Protest hat Erfolg#

Projekt 1962: Bürohaus mit Garagensilo anstelle des Palais Khuenberg- heute Stadtmuseum.
Projekt 1962: Bürohaus mit Garagensilo anstelle des Palais Khuenberg- heute Stadtmuseum.

Als im Zentrum der Altstadt der Häuserkomplex Jungferngasse 10, Frauengasse 2 und 4 (mit der Heiligenstatue auf einem von einer Birke gekrönten Einfahrtsbogen ein einzigartiges Baudenkmal!) sowie Schmiedgasse 17 und 19 abgerissen und durch ein neues Geschäftsquartier ersetzt werden soll, haben Politiker bereits Bedenken wegen der „öffentlichen Meinung", obwohl der Landeskonservator und der Verein für Heimatschutz die Sanierung begrüßten. Eine Untersuchung durch die Leiterin des Stadtmuseums, Dr. Maria Schaffler, streicht heraus, daß einige Häuser zum Kern des mittelalterlichen Judenviertels gehörten. Im Herbst 1972 werden die Häuser in der Schmiedgasse unter Denkmalschutz gestellt; der Eigentümer, eine große Versicherung, verkauft sie schließlich für einen Schilling der Stadt, die hier ein Muster-Sanierungsverfahren durchzieht.

Schließlich droht östlich der Herrengasse der Häusergruppe bis zur Prokopigasse eine ähnliche „Sanierung" durch eine andere Versicherung: Die schönen Hauskomplexe sollen durch Neubauten ersetzt, dafür aber Details von Fassaden und Dächern „nachgestellt" werden. Die Gefährdung wird im Herbst 1972 publik, massive Proteste bewirken ein Umdenken: Ab 1974 beginnt eine stilgerechten Renovierung, eine teilweise Entkernung und Verbindung der Höfe untereinander, die 1984 abgeschlossen wird. Nun formiert sich eine breite Bürgerbewegung, beim „Forum Alpbach" und in der „Kleinen Zeitung" vorgebrachte schwere Bedenken von Professoren der Grazer Lehrkanzel für Städtebau bestärken die letzten Zweifler. Als im Herbst 1972 die Probebohrungen im Landhaushof für die sogenannte „Hofratsgarage" einsetzen, bringt die Aktion „Rettet die Grazer Altstadt" die entscheidende Wende.

Verluste#

Dennoch kommt es auch danach noch zu Verlusten: Nach schwacher Haltung der Behörden wird noch 1973 das Haus Mariahil-ferstraße 8 mit seinem schönen Eckerker abgebrochen, das Haus Lendkai Nr. 3 mit dem schönen Jugendstilbalkon fällt schließlich 2001 dem Kunsthaus-Neubau zum Opfer. In den fast 30 Jahren haben das Grazer Altstadterhaltungsgesetz und das Bundesdenkmalamt viele Bausünden verhindert, heute ist die Altstadtsachverständigenkommission bemüht, das Erscheinungsbild von Werbetafeln und Sendemasten frei zu halten und die Dachlandschaft einigermaßen zu bewahren. Leider verläuft die Zusammenarbeit mit den Baubehörden, der Stadtplanung, den Architekten und mächtigen Bauherrn nicht friktionsfrei, die fehlende Möglichkeit der Berufung gereicht der alten Stadt zum Nachteil. Der Verlust des alten Hotelbaus des „Steirerhofes" am Jakominiplatz schmerzt noch heute, die Zerstörung des Ensembles der „Thalia" durch überdimensionierte Aufbauten (Probebühne, Hotel) droht. Angesicht der überbordenden „Events" muß auch vor der „Degradierung der Stadt zur Kulisse und vor der exzessiven touristischer Vermarktung" gewarnt werden.

Eine Welterbe-Stadt wie Graz ganz zu begreifen, kann ein Leben dauern; es gelingt nur, wenn sie im Stande bleibt, ihre Geschichte authentisch den Bewohnern zu „erzählen". Es bleibt zu hoffen, daß die nicht unumstrittenen baulichen Akzente, die Graz als Kulturhauptstadt 2003 setzt (Murinsel, Kunsthaus), der alten Stadt zuträglich sind und nachhaltig mit urban-kulturellem Leben erfüllt werden können.


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