Die Wiener Revolution 1848: #
Arbeiterinnenaufstand, Barrikadenbräute & der erste politische Frauenverein Österreichs#
Von
Irmgard Neubauer
Übernommen aus: dosilla Donnerstag, 31. Juli 2008
Österreich war damals unter Staatskanzler Metternich ein Polizeistaat mit strengen Zensurvorschriften, ausländische Publikationen waren verboten, sofern sie auch nur in die Nähe liberaler und demokratischer Ideale kamen. Die 1848er Revolution, die ursprünglich von Frankreich ausging, breitete sich nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa aus: Wien sowie Budapest, Prag und Berlin zählten zu den Zentren der Aufstände.
Missernten und der daraus resultierende Hungerwinter 1847/1848 traf vor allem die Ärmsten der Bevölkerung am härtesten – und dort wiederum die Frauen, die für das Überleben ihrer Familien zuständig waren. Arbeitslosigkeit und ausbeuterische Arbeitsbedingungen zwangen viele Frauen in die Prostitution. Arbeiterinnen erhielten für die gleiche Arbeit um ca ein Drittel weniger Bezahlung als ihre männlichen Kollegen - und als der Lohn der Erdarbeiterinnen von täglich 20 auf 15 Kronen gekürzt wurde (zum Vergleich: männliche Arbeiter verdienten für diesselbe Arbeit 25 Kronen), entschlossen sich die Erdarbeiterinnen in Wien am 21.August 1848 spontan zu einer Demonstration - dieser Arbeiterinnenaufstand war die erste Frauendemonstration in Österreich.
Zwei Tage später wurde der Kampf der Arbeiterinnen, denen sich mittlerweile auch männliche Kollegen angeschlossen hatten, am Praterstern fortgesetzt: die sogenannte „Praterschlacht“ ging mit einer brutalen Niederschlagung der Aufständischen (18 Tote und knapp 300 Verletzte) zu Ende.
Die Arbeiterinnen, die anfangs noch Solidarität von den bürgerlichen Frauen und von ihren männlichen Arbeiter-Kollegen als „unterstützende Gehilfinnen“ und „hilfreiche Engel“ erfuhren, wurden spätestens, als sie mit Gewehren und Pistolen Brot forderten, als „Barrikadenbräute“ und „Flintenweiber“ diffamiert:
„Bewaffnete Weiber mischen sich jetzt unter die Männer“, „die Frauen rasen“ und auch „wachsende Hemmungslosigkeit“ von mit Gewehren und Pistolen bewaffneten Frauen bereitete nicht nur konservativen Kreisen reichlich Unbehagen, sondern wurde auch von linken Männern beklagt. Dabei waren es vorrangig Frauen, die von Gewalt und Tod bedroht waren: Verstümmelungen, Vergewaltigungen und Mord an Frauen waren an der Tagesordnung: „Der Wirtin vom Schüttelbach wurden die Brüste abgeschnitten, der Bauch aufgeschlitzt...“
Obwohl zahlreiche Frauen an der 1848er-Revolution beteiligt waren, sind uns nur ganz wenige Namen und konkrete Schicksale von Frauen überliefert. Karoline von Perin ist die einzige Frau der Wiener 1848er-Bewegung, über die wir mehr wissen.
Karoline von Perin stammte nicht aus einer Arbeiterfamilie, sondern aus einer reichen adeligen Familie (Pasqualati) und vorerst verlief ihr Leben in – für bürgerliche, wohlhabende Frauen - üblichen Bahnen: Karoline Pasqualati heiratete standesgemäß, und zwar den Freiherrn von Perin-Gradenstein und bekam drei Kinder.
Doch schon bald sollte sich zeigen, dass Karoline von Perin sich über viele Konventionen ihrer Zeit hinwegsetzte.: Nachdem ihr Mann starb, lernte sie den radikalen Demokraten Alfred Julius Becher, Musikkritiker und Herausgeber der Zeitung „der Radikale“, kennen und lieben. Die beiden lebten unverheiratet zusammen – zu dieser Zeit ein Skandal, zumindest in bürgerlichen Kreisen (arme Frauen, wie z.B. Arbeiterinnen lebten oft jahrelang unverheiratet mit einem Mann zusammen, bis die beiden Heiratswilligen die für eine Eheschließung erforderlichen Vorraussetzungen, wie z.B. Zeugnisse vom Arbeits- und Wohnungsgeber über ausreichendes Einkommen, erfüllen konnten).
Skandalös wurde aber vor allem Karoline von Perins Eintreten für mehr Gerechtigkeit, Anerkennung und soziale Gleichberechtigung der Frauen empfunden. Empört über die gewaltsame Niederschlagung der Demonstration der Wiener Arbeiterinnen gründete sie am 28.August 1848 den „Wiener demokratischen Frauenverein“ - den ersten politischen Frauenverein in Österreich! Was übrigens verboten war, denn die Vereinsgesetzgebung erlaubte Frauen nicht, sich politisch (egal ob mit oder ohne Männer) zu organisieren. Karoline von Perin setzte sich darüber hinweg.: Sie versuchte erst gar nicht, als Frau in den Männer-Vereinen beitreten zu dürfen, sondern gründete kurzerhand ihren eigenen Verein, dem sie als Präsidentin vorstand. Und obwohl der Verein nur zwei Monate lang bestand, gilt er als Beginn der Österreichischen Frauenbewegung und Karoline von Perin als Pionierin derselbigen.
Der Verein setzte sich - abgesehen von karitativen Aufgaben, wie die Versorgung der Opfer der Revolutionskämpfe – das politische Ziel, für die soziale Gleichberechtigung der Frau und „die Verbreitung der demokratischen Gesinnung in allen weiblichen Kreisen“ zu kämpfen.
Die Vereins-Statuten besagten, dass unter den Mitgliedern des Vereins kein Standesunterschied gelten dürfe - und was ganz neu und „unerhört“ war: Männer waren von der aktiven Teilnahme im Verein ausgeschlossen! Männer durften zwar als unterstützende Mitglieder oder auch mal ausnahmsweise als Ehrenmitglieder bei Sitzungen anwesend sein, sie durften aber nicht mit abstimmen. Die „wirkende“ (= wahlberechtige) Mitgliedschaft war ausschließlich Frauen vorbehalten.
Ein Novum damals – und auch heute, im 21.Jhdt, werden Orte, die ausschließlich Frauen vorbehalten sind und auch jene Frauen, die auf solche Orte bestehen, immer wieder von zahlreichen Männern (und leider auch manchen Frauen) angegriffen, angezweifelt, diffamiert und lächerlich gemacht.
So geschah es auch dem Wiener Demokratischen Frauenverein: die konstituierende Sitzung am 28.August 1848 im Wiener Volksgarten wurde von Männern gestürmt: diese demolierten die Fenster und drangen anschließend gewaltsam in den Saal ein, sprangen auf die Tische und äfften die Rednerinnen nach. Die Presse, ausschließlich männlich und somit von der Versammlung ausgeschlossen, verunglimpfte die teilnehmenden Frauen als „Freudenmädchen“.
Als eine der Frauen die Männer bat, den Saal doch bitte zu verlassen, wurde sie von diesen mit Ohrfeigen bedroht – den Frauen blieb nichts anderes übrig, als das Treffen zu beenden. Sie gaben jedoch nicht auf, sondern setzten ihre Sitzung in einem Gasthaus fort, welches sogleich derart überfüllt war, dass die Versammlung aus Platzmangel bis auf die Straße hinaus ausgeweitet werden musste.
Der Frauenverein organisierte auch eine spektakuläre Frauendemonstration am 17.Oktober 1848 vor dem Wiener Reichstag, bei denen die 300 Teilnehmerinnen eine Petition mit ca 1000 Unterschriften überreichten. Die Frauen forderten darin die Einberufung des Landsturms, weil sie hofften, durch bewaffnete Hilfe der Landbevölkerung die Rückeroberung Wiens durch die konterrevolutionären kaisertreuen Truppen verhindern zu können.
Ihre Forderungen wurden jedoch zurückgewiesen und zwar nicht wegen des Inhalt, sondern allein durch die Tatsache, dass Frauen sich anmaßten, eine Petition einzureichen und auch öffentlich zu demonstrieren. Das genügte, um auf ihre Forderungen weiter nicht einzugehen. Die damalige Presse berichtete hämisch und diffamierend über das „freche Eindringen in Völkerfragen“, welches „fern dem weiblichen Gemüte“ zu bleiben hätte. Karoline von Perin wurde als „schmutzige Amazone“ und „politische Marktschreierin“ beschimpft.
Im Oktober 1848 wurde Wien von den kaisertreuen Truppen gestürmt und zurückerobert, die Revolution blutig niedergeschlagen. Als im November 1848 das Kriegsrecht verhängt und alle politischen Aktivitäten verboten wurden, bedeutete das auch die Auflösung aller Vereine - und somit auch des Wiener Demokratischen Frauenvereins.
Karoline von Perin und ihr Lebensgefährte Julius Becher wurden verraten und gefangengenommen. Julius Becher wurde - wie auch viele andere Revolutionäre – hingerichtet: Er wurde standrechtlich erschossen. Karoline von Perin wurde in Polizeigewahrsam schwer misshandelt („mit Rutenschlägen gestäupt“), ihr Vermögen konfisziert und das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen.
Weiters wurde sie für psychisch krank erklärt - ein probates Mittel, um unliebsame, aufmüpfige Frauen in ihre Schranken zu weisen. Sie „durfte“ Wien verlassen und ging nach München. Sie versuchte nach einiger Zeit, wieder nach Wien zurückzukehren, wohl auch in der Hoffnung, das Sorgerecht für ihre Kinder wieder zu bekommen. Ob letzteres gelang, ist nicht überliefert, nach Wien durfte sie jedoch zurückkehren - was ihr allerdings nur glückte, indem sie ihre früheren politischen Forderungen zurücknahm und sich von ihrem politischen, revolutionären Engagement distanzierte. Sie eröffnete in Wien ein Stellenvermittlungsbüro, mit dem sie ihren Lebensunterhalt gerade mal so leidlich finanzieren konnte.
Danach verlieren sich ihre Spuren...
Ein bitteres Ende für eine mutige Frau, die ihren adeligen Stand verließ und mit ihrer Herkunftsfamilie brach, um sich ganz dem Kampf für demokratische Ziele und die Rechte der Frauen einzusetzen:
Ihr Lebensgefährte wurde ermordet, ihre Kinder wurden ihr weggenommen ihr Vermögen konfisziert. Zeitgenössische Zeitungsberichte fanden, sie habe ihr Schicksal durchaus verdient, und schrieben, dass Frauen Mutterpflichten zu erfüllen hätten und kein Platz für sie „in der Avantgarde eines mobilen Heeres...“ wäre.
Lassen wir zum Schluss Karoline von Perin noch selbst für sich sprechen – und zwar aus ihren Erinnerungen, in denen sie ihre Erlebnisse der letzten Oktobertage 1848 niederschrieb:
„Statt Teilnahme bewarf man mich mit Kot, hatte kein Mitleid, dass man mir den Geliebten, den Bräutigam erschossen, soviele Freunde ins Elend gestürzt, dass ich mein ganzes Vermögen verloren, meine nächste Familie mich verlassen ... dass die Behörde mir meinen einzigen Trost, meine letzte Stütze, meine lieben Kinder entzog - in der Voraussetzung, ich dürfte sie in zu radikalen Grundsätzen erziehen...“
© Irmgard Neubauer
Quellen & benutzte Literatur:
- Statuten des Wiener Demokratischen Frauenvereins
- Über die Frauenbewegung im Web-Lexikon der Wiener Sozialdemokratie
- Frauen in Bewegung: Erster Wiener Demokratischer Frauenverein
- Gabriella Hauch: Frau Biedermeier auf den Barrikaden. Frauenleben in der Wiener Revolution 1848, Verlag für Gesellschaftskritik, Wien 1990
- Hilde Schmölzer: Revolte der Frauen, S.197 ff, Ueberreuter Verlag, Wien 1999