Seite - 577 - in Handbuch der Ornamentik - Zum Gebrauch für Musterzeichner, Architekten, Schulen und Gewerbetreibende sowie zum Studium im Allgemeinen
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Zierschriften. 577
gegeben. Die Verfallstile der Renaissancezeit brachten auch dem Schrift-
wesen den Verfall, der um die Mitte des i8. Jahrhunderts am deut-
lichsten zur Geltung kommt. Seitdem und besonders in allemeuester
Zeit ist ein erfreulicher Fortschritt zum Bessern wahrzunehmen, wenn
auch nicht abzustreiten ist, dass nicht alle dahin zielenden Versuche
als glückliche bezeichnet werden können. Man sollte stets im Auge
behalten, dass neben der ästhetischen Seite die praktische nicht ver-
gessen werden darf, besonders auf einem so höchst wichtigen und
allgemeinen Gebiete, wie es das Schriftwesen ist. Man sollte sich
stets darüber klar sein, dass die leichte Lesbarkeit ein Haupterfor-
dernis ist und dass diese eben in erster Linie bedingt ist durch die
Einfachheit
Was nun die ornamentale Seite betrifft, da es sich an dieser
Stelle in erster Linie um Zierschriften handelt, so ist zunächst zu
bemerken, dass der Antike das Prinzip der Schriftverzierung ferne lag,
sei es, dass eben niemand daran dachte, dass man die Schrift auch
verzieren könne, sei es bewussterweise aus Gründen der leichteren Les-
barkeit oder aus anderen imbekannten Gründen. Späterhin haben
sich so ziemlich alle Kulturzeiten und Kulturvölker mehr oder minder
mit der Schriftverzierung befasst. Die Schriftverzierung kann zwei
verschiedene Wege einschlagen. Entweder wird der Buchstabe als
solcher in den Teilen, die ihn bilden, ornamentiert, was in den Extremen
schliefslich dahin geführt hat, dass Fische und Vögel, menschliche Ge-
stalten etc. in allen Verrenkungen mit ihren Leibern die Züge der
Buchstaben bilden. Oder der Buchstabe in seiner gewöhnlichen Form
erhält eine omamentale Ausstattung durch dekorative Zuthaten, durch
Einsetzen in einen Rahmen, der als freie Endigung oder als Bild auf-
tritt. Die zweite sich besonders für Anfangsbuchstaben oder Initialen
eignende Art hat zu sinnreichen Beziehungen geführt; so illustriert
z. B. ein Initial häufig auf seinem Untergrund das Kapitel, welches
mit jenem beginnt. (Fig. 2, Taf. 298.) Naturgemäfs können sich auch
beide Arten der Schriftverzierung verbinden. Die erstere Verzierungs-
weise führt leicht dazu, dass der eigentliche Charakter des Buch-
stabens verloren geht; bei Anwendung der letzteren verschneidet oder
verdeckt nicht selten die Ornamentation den Buchstaben oder der
Buchstabe das Bild in störender Weise. Ein wichtiger Faktor, welcher
bei der Schriftverziemng mit spielt, ist die Farbe. Gold, Silber und
die mannigfachsten Farben, vor allem aber Gold und Rot spielen neben
dem Schwarz der Schrift eine bedeutende Rolle, sowohl in der kalli-
graphischen Miniaturmalerei als in der Typographie. Leider konnte
das vorliegende Werk dieser Seite keine Rücksicht tragen.
Im Mittelalter waren es vornehmlich Mönche und Nonnen, die
der Kunst des Schreibens oblagen; vom 13. Jahrhundert an auch
Laien. Es liefse sich eine grofse Zahl berühmter Kalligraphen an-
führen. Mit der Einführung des Buchdrucks ging die Schönschreiberei
ticyer, Handb. d, Ornamentik.
Handbuch der Ornamentik
Zum Gebrauch für Musterzeichner, Architekten, Schulen und Gewerbetreibende sowie zum Studium im Allgemeinen
- Titel
- Handbuch der Ornamentik
- Untertitel
- Zum Gebrauch für Musterzeichner, Architekten, Schulen und Gewerbetreibende sowie zum Studium im Allgemeinen
- Herausgeber
- Franz Sales Meyer
- Ort
- Leipzig
- Datum
- 1937
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 9.6 x 15.7 cm
- Seiten
- 628
- Kategorie
- Kunst und Kultur