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vom 26.06.2021, aktuelle Version,

Anton Pfalz

Anton Pfalz (* 4. Dezember 1885 in Deutsch-Wagram; † 11. November 1958 in Zipf, Oberösterreich) war ein österreichischer Sprachwissenschaftler.

Er wirkte als Mundartforscher und Dialektgeograph. Zudem war er Professor an der Universität Wien und hatte über viele Jahre die Leitung der „Wiener Wörterbuchkanzlei“ inne (heute Institut für Österreichische Dialekt- und Namenlexika der Österreichischen Akademie der Wissenschaften).

Leben

Geboren als Sohn eines begüterten Postmeisters und einer gebürtigen Baronin v. Benz-Albkron besuchte Pfalz nach der Volksschule seines Geburtsortes zunächst das Schottengymnasium in Wien, dann aber bis zur Reifeprüfung das Landes-Realgymnasium in Stockerau. Es folgte das Studium der deutschen und klassischen Philologie an der Universität Wien u. a. bei Rudolf Much und Joseph Seemüller (1855–1919), bei dem er 1910 mit einer Dissertation über die „Lautlehre der Mundart von Deutsch-Wagram und Umgebung“[1] promovierte. 1911 legte Pfalz auch die Lehramtsprüfung für höhere Schulen (damals „Mittelschulen“) in Deutsch und Latein ab, doch nach dem sogenannten Probejahr[2] am Wiener Maximiliansgymnasium unterrichtete er nie mehr an einer Schule. Zuvor hatte er sich bereits mit Walter Steinhauser (1885–1980) am Schweizerischen Idiotikon kundig gemacht und sich durch Primus Lessiak in Freiburg/Fribourg i. d. Schweiz mit praktischen Mundartforschungsfragen vertraut machen lassen. Mit ihm unternahm er auch 1912 eine beschwerliche Reise mit Mauleseln und schwerem technischem Gerät auf die Hochebene der Sette Commune zu den Sieben Gemeinden im damaligen Welsch-Tirol, der Provinz Trient, um die ersten Phonogrammaufnahmen des Zimbrischen für das Phonogrammarchiv in Wien zu machen,[3] die auch heute noch existieren. Dadurch gehört das Zimbrische der Sieben Gemeinden zu jenen privilegierten Sprachen, von denen bereits aus so früher Zeit authentische Tonbandaufnahmen existieren.

1911 war die Kanzlei zur Schaffung eines Bayerisch-Österreichischen Wörterbuches, die „Wiener Wörterbuchkanzlei“, der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften gegründet worden, in der Pfalz 1912–1920 als wissenschaftlicher Assistent wirkte und der er ab 1920 bis zu seiner Entlassung 1945 vorstand. 1919 war seine Habilitation auf Grund der Suffigierung der Personalpronomina im Donaubairischen und der Reihenschritte im Vokalismus erfolgt,[4] und sieben Jahre danach erfolgte die – brotlose – Ehrung des Dozenten mit der Verleihung des Berufstitels „außerordentlicher Universitätsprofessor“ („tit.ao.Prof.“).[5] Allerdings erhielt Pfalz in diesem Jahr auch einen Lehrauftrag für deutsche Mundartforschung und Volkskunde an der Universität Wien, wo der Titular-Extraordinarius 1931 schließlich eine außerordentliche Professur für Geschichte der deutschen Sprache und der älteren deutschen Literatur erhielt und 1940 auch mit der Leitung des phonetischen Lehrapparates betraut wurde. 1939 wurde er als korrespondierendes Mitglied in die „Akademie der Wissenschaften in Wien“ aufgenommen.

Pfalz war 1919–1928 Mitglied der Großdeutschen Volkspartei gewesen, die entschieden für die im Frieden von St. Germain verbotene Vereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich (den „Anschluss“) eintrat, aber nach Verlust ihrer Regierungsbeteiligung 1927 von vielen Mitgliedern verlassen worden war. In der Folgezeit war er 1933/34 Mitglied des NS-Lehrerbundes bis zu dessen Verbot im Ständestaat, womit er den meisten übrigen Mitgliedern der Großdeutschen Volkspartei, die erst 1938 nach dem „Anschluss“ der NSDAP beitraten, ein Stück voraus war. 1934 trat er allerdings in die „überparteiliche“ Vaterländische Front von Engelbert Dollfuß ein, was eine Pflicht aller „regierungstreuen“ öffentlichen Bediensteten war, wurde aber 1937 auch Mitglied der verbotenen NSDAP, also ein „Illegaler“ wie sein wissenschaftlicher Schüler Eberhard Kranzmayer. 1943 wurde er Pressereferent des NS-Dozentenbundes für die philosophische Fakultät der Universität Wien, was den Rang eines „Gauhauptstellenleiters“ bedeutete. Während andere belastete Professoren der Wiener Universität wegen Personalmangels nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 ihre Lehrtätigkeit fortsetzen durften,[6] hatten seine Parteizugehörigkeit in der Illegalität und seine Funktion im NS-Dozentenbund die Entlassung zur Folge, Viktor Dollmayr wurde sein Nachfolger in der Wörterbuchkanzlei. 1947 wurde Pfalz als nur „Minderbelasteter“ nach dem Verbotsgesetz eingestuft und 1949 pensioniert.[7]

Pfalz gehörte zum antisemitischen Professorennetzwerk „Bärenhöhle“, dessen geheimes Wirken es jüdischen und linken Wissenschaftlern in der Zwischenkriegszeit schwer machte, an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien, die damals sämtliche Geistes- und Naturwissenschaften umfasste, habilitiert oder berufen zu werden.[8]

In Wien-Donaustadt (22. Bezirk) wurde die Pfalzgasse nach ihm benannt.

Bedeutung

Aus heutiger Sicht war Anton Pfalz im deutschen Sprachraum bahnbrechend in der Erkenntnis der Bedeutung der Phonologie für die Sprachwissenschaft. Während sie im Norden erst 1960 einsetzte,[9] hatte Pfalz schon ein Vierteljahrhundert früher die Phonologie seines heimatlichen Dialektgebietes beschrieben. Er war ein Mitbegründer der sich um 1910 konstituierenden Wiener dialektologischen Schule, und in ihr war er es, der zuerst für die Wirksamkeit innersprachlicher Kräfte eintrat, indem er mit dem Prinzip der „Reihenschritte“ 1918 den weiteren Weg wies. Sein persönlicher Verkehr in Wien mit Nikolai Sergejewitsch Trubetzkoy, der ja auch wiederum Daten von Pfalz für eigene Arbeiten verwendete,[10] führte Pfalz dann zu seinen maßgebenden Arbeiten auf diesem Gebiet im deutschen Sprachraum.[11]

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Reihenschritte im Vokalismus. In: Beiträge zur Kunde der bayerisch-österr. Mundarten 1 (= Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Phil.-histor. Kl., 190/2) Wien 1918, S. 22–42.
  • Suffigierung der Personalpronomina im Donaubairischen, Hölder-Kommssionsverlag, Wien 1918.
  • Die Mundart des Marchfeldes (= Mitteilungen der Phonogramm-Archiv-Kommission 27, Sitzungsberichte der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien 170,6), Wien 1913.
  • Dialektgeographische Proben.XII. Bericht der Kommission für das Bayerisch-österreichische Wörterbuch für 1924 (= Anzeiger der Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist.Kl. 1925), Wien 1925 S. 9–24.
  • Grundsätzliches zur Mundartforschung.In: Germanistische Forschungen. FS zum 60-jährigen Stiftungsfest des Wiener Akademischen Germanistenvereins.Wien 1925, S. 205–226.
  • Zur Phonologie der bairisch-österreichischen Mundart, In: Lebendiges Erbe, FS Ernst Reclam, Leipzig 1936, S. 9–19.
  • Die Mundarten des Norddonauraumes. In: Deutsches Archiv für Landes- und Volksforschung 1, (1937) S. 653–668.
  • Die Überlieferung des Deutschenspiegels(=Forschungen zu den deutschen Rechtsbüchern 1., Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften 191,1), Wien 1919.
  • Leopold Nowak, Adolf Koczirz, Anton Pfalz: Das deutsche Gesellschaftslied in Österreich von 1480 bis 1550(= Denkmäler der Tonkunst in Österreich DTÖ 72), Universal-Ed., Wien 1930.

Editionsarbeit:

  • Reihe Deutsche Mundarten 1908–1918 (mit Joseph Seemüller).
  • Reihe Forschungen zu den deutschen Rechtsbüchern 1919–1938 (mit Hans Voltelini).
  • Österreichische Krieger- und Wehrmachtslieder aus dem Jahre 1809, Wien 1905.
  • Flugschriften, hg. zum Besten des Kriegsdenkmalfonds in Deutsch-Wagram, Deutsch-Wagram 1906.

Literatur

  • Uwe Baur: Tabelle Habilitierte Germanisten, Theaterwissenschaftler und Volkskundler 1938–1945 in Österreich, in: „Eine Mehrheit an Methoden muß zur Verfügung stehen, …“. „Innere Emigration“ eines Germanisten: Hugo (v.) Kleinmayr. In: Johann Holzner, Karl Müller (Hrsg.): Literatur der „Inneren Emigration“ aus Österreich. Döcker, Wien 1998, ISBN 3-85115-242-5, S. 357–375 (PDF; 181 kB).
  • Werner Besch: Dialektologie. Ein Handbuch zur Deutschen und allgemeinen Dialektforschung. Walter de Gruyter, Berlin und New York 1982, ISBN 3-11-005977-0, S. 190.
  • Christoph König (Hrsg.), unter Mitarbeit von Birgit Wägenbaur u. a.: Internationales Germanistenlexikon 1800–1950. Band 2: H–Q. De Gruyter, Berlin/New York 2003, ISBN 3-11-015485-4, S. 1396–1397.
  • Eberhard Kranzmayer: Anton Pfalz. Nachruf. In: Almanach der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 108. Jg. (1958), Wien 1959, S. 383–391.
  • Irene Ranzmaier: Germanistik an der Universität Wien zur Zeit des Nationalsozialismus. Karrieren, Konflikte und die Wissenschaft. Böhlau, Wien u. a. 2005, ISBN 3-205-77332-2. (dazu: Rezension von Frank-Rutger Hausmann; Gespräch mit Irene Ranzmaier).
  • Ingo Reiffenstein: Die Geschichte des „Wörterbuches der bairischen Mundarten in Österreich“ (WBÖ). Wörter und Sachen im Lichte der Kulturgeschichte. In: Isolde Hausner, Peter Wiesinger (Hrsg.): Deutsche Wortforschung als Kulturgeschichte. Beiträge des Internationalen Symposiums aus Anlass des 90-jährigen Bestandes der Wörterbuchkanzlei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 25.-27. September 2003 (= Sitzungsberichte der phil.-hist. Klasse 720). ÖAW, Wien 2005, ISBN 978-3-7001-3399-5 (Druck), ISBN 978-3-7001-3583-8 (Online Edition; PDF-Datei), S. 1–14.
  • Peter Wiesinger: Systementwicklungen des Deutschen im Bereich des Vokalismus. In: Werner Besch: Sprachgeschichte: Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 3. Teilband. 2. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin und New York 1998, ISBN 3-11-015883-3, S. 205–226.

Einzelnachweise

  1. Stark gekürzt gedruckt als Die Mundart des Marchfeldes, 1913; s. "Veröffentlichungen".
  2. Ein "Probelehrer" in Österreich entsprach in etwa dem Studienreferendar, das "Probejahr", damals ohne Vergütung, der Referendarzeit.
  3. Hörprobe (PDF; 5,3 MB) bei: Anthony Rowley: Eine Reise in die Zeit der Minnesänger. Von den Sprachinseln der Zimbern und der Fersentaler. S. 20.
  4. s. "Veröffentlichungen".
  5. Das Germanistik-Institut der Universität Wien (Memento vom 1. Juni 2009 im Internet Archive) vereinfacht die Karriere von Pfalz etwas: "Anton Pfalz war ab 1919 Universitätsprofessor für Deutsche Sprache und Ältere Deutsche Literatur an der Universität Wien und wirkte als führender Mitarbeiter der Wörterbuchkanzlei der Österreichischen Akademie der Wissenschaften".
  6. Simone Kremsberger: Joseph Nadler und Co.: Wissenschaft und Nationalsozialismus. Die Germanistik an der Universität Wien zur Zeit des Nationalsozialismus. Kapitel: Entnazifizierung des Instituts. Universität Wien Online-Zeitung, 2. Juni 2003.
  7. Internationales Germanistenlexikon hg. v. Christoph König, de Gruyter, Berlin–New York 2003, S. 1396–1397.
  8. Kurt Ehrenberg: Othenio Abel’s Lebensweg, unter Benützung autobiographischer Aufzeichnungen. Kurt Ehrenberg, Wien 1975, S. 85 f., ausgewertet bei Klaus Taschwer: Geheimsache Bärenhöhle. Wie ein antisemitisches Professorenkartell der Universität Wien nach 1918 jüdische und linke Forscherinnen und Forscher vertrieb. In: Regina Fritz, Grzegorz Rossoliński-Liebe, Jana Starek (Hrsg.): Alma mater antisemitica: Akademisches Milieu, Juden und Antisemitismus an den Universitäten Europas zwischen 1918 und 1939. Band 3, new academic press, Wien 2016, S. 221–242, hier S. 230 (online).
  9. Joachim Hartig & Gisbert Keseling: Niederdeutsche Mundartforschung der Stammlande. In: Ludwig Erich Schmitt (Hrsg.): Germanische Dialektologie. Festschrift für Walther Mitzka zum 80. Geburtstag. Bd. 2. Steiner, Wiesbaden 1968, S. 156.
  10. Werner Besch: Dialektologie. Walter de Gruyter, Berlin/New York 1982, S. 190.
  11. Maria Hornung: Die Osttiroler Bauernsprachinseln Pladen und Zahre in Oberkarnien. In: Osttiroler Heimatblätter. Jg. 28, Nr. 5, 26. Mai 1960