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Adler, Victor#

* 24. 6. 1852, Prag (Tschechische Republik)

† 11. 11. 1918, Wien


Arzt und sozialdemokratischer Politiker


Gedenktafel Gumpendorfer Str. 208, © Rainer Lenius
Gedenktafel Gumpendorfer Str. 208
© Rainer Lenius

Victor Adler wurde am 24. Juni 1852 in Prag geboren.

Nach der Übersiedlung seiner Familie nach Wien besuchte er hier das Schottengymnasium und studierte anschließend an der Universität zunächst Chemie, dann Medizin.


Nach Abschluss seines Studiums wurde er Assistent an der Psychiatrischen Klinik, eröffnete bald eine eigene Praxis und lernte bei seiner Tätigkeit das soziale Elend der Arbeiterschaft kennen.

Nach dem Studium in Wien hatte er sich zunächst der deutschnationalen Bewegung angeschlossen, wechselte unter dem Einfluss August Bebels und Friedrich Engels dann aber zur Sozialdemokratie. Es folgten Jahre des politischen Engagements für die Ziele der Arbeiterbewegung.


Er gründete 1886 die sozialistische Wochenschrift "Gleichheit", 1889 die "Arbeiterzeitung", vereinigte auf dem Hainfelder Parteitag 1888/89 die sozialdemokratischen Gruppen und war maßgeblich an der Abfassung des Brünner Programms 1899 beteiligt.

1905 gelang es ihm, in den Reichsrat einzuziehen, als Abgeordneter setzte er sich entschieden für das allgemeine Wahlrecht ein.

Als Staatssekretär des Äußeren in der Provisorischen Regierung Renner 1918 für den Anschluss von "Deutsch-Österreich" an das Deutsche Reich.

Victor Adler - das Haupt der Arbeiterbewegung und Mitbegründer der 1. Republik, starb am 11. November 1918, einen Tag vor der Ausrufung der Republik.


Er ist in einem Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof (Gr.24/05/01) begraben.

Ihm zu Ehren gibt es eine Büste von Anton Hanak am Republik-Denkmal in Wien, eine Gedenktafel in Wien 6, Gumpendorfer Straße 54 und der Viktor-Adler-Platz im 10. Wiener Bezirk ist nach ihm benannt.


Text aus dem Buch "Große Österreicher":#

Victor Adler (1852 - 1918)

Es gehört zu den Absonderlichkeiten der Arbeiterbewegung, daß so viele ihrer führenden Gestalten aus einem den Ideen dieser Bewegung diametral entgegengesetzten Milieu stammen. Auf Dr. Victor Adler, den eigentlichen Gründer der österreichischen Sozialdemokratie, trifft dies in besonderem Maß zu. Er ist gleichsam ein Spätberufener gewesen, weil er erst im verhältnismäßig reifen Alter von 30 Jahren zum Sozialismus stieß, und er war dem Herkommen und anfangs auch der Überzeugung nach eigentlich ein Großbourgeois. Ein drittes kommt hinzu, das Victor Adler in eine Reihe mit vielen anderen großen historischen Figuren der Sozialdemokratie stellt: er war Jude, und er war gleichzeitig deutschnational gesinnt. Mehr noch: er war ein Schönerer-Anhänger. In der Tat hat dieser später berüchtigte Antisemit in seiner politischen Frühzeit einen Kreis von Demokraten um sich sammeln können, denen er mit seinen Eintreten für die Rechte der Arbeiter und für das allgemeine Wahlrecht imponierte.

Es war die Beschäftigung mit sozialen Fragen, die den Sohn aus reichem Haus zum Sozialismus führte. Dennoch ist sein Lebensstil, sind seine Vorlieben bürgerlich geblieben. »Es ist nicht bekannt, daß auch nur ein einziger Arbeiter je in seinem Haus verkehrt hätte«, schreibt Fritz Kaufmann, der Historiograph der österreichischen Sozialdemokratie. »Dort, so wie in dem von ihm bevorzugten Kaffeehaus, dem Griensteidl, traf er sich mit Musikern, Schriftstellern, Schauspielern und Journalisten. Seine Tarockpartner waren meist Großbankdirektoren.«

Victor Adler ist Mediziner geworden, Augenarzt, noch zog ihn nichts zur Politik - nichts außer der brennenden Sehnsucht, das Los der Armen zu verbessern. Anfangs tat er es in seiner Ordination; er war Armenarzt, konnte es sich leisten, die Bedürftigsten unentgeltlich zu be-handeln. Sein größter Wunsch war damals, Gewerbeinspektor zu werden. Um sich für das Amt vorzubereiten, reiste er durch Deutschland, die Schweiz und England, auch studierte er die Berufskrankheiten von Arbeitern. Er kam mit den international bekannten Sozialisten Karl Kautsky, August Bebel, Friedrich Engels in Kontakt, letzterer ermutigte ihn, sich dem Arbeitsinspektorat zu widmen.

Aber sein diesbezügliches Ansuchen wurde abgelehnt. Er schrieb später, dies sei der Anlaß gewesen, sich den »Reihen der kämpfenden Sozialdemokratie anzuschließen«. Nur dort, meinte er offenbar, war er in der Lage, das Los der Arbeiter, des Proletariats, zu verbessern. Der Vater war gestorben, Adler mußte keine Rücksicht mehr auf die gesellschaftliche Stellung der Familie nehmen, vielmehr konnte er sein beträchtliches Vermögen für seine politischen Aktivitäten einsetzen. Als er - ein erster Schritt hin zum Führer der Sozialdemokraten - die Herausgabe der Zeitschrift »Die Gleichheit« ermöglichte, schrieb er im Antrag an die zuständigen Behörden als Berufsbezeichnung »Hausbesitzer Und doch war eines der zündendsten Themen, die er dann in seiner Zeitschrift aufgriff, das Elend der Ziegeleiabeiter am Wienerberg.

Wegen dieser und anderer Kampagnen kamen Victor Adler und sein verantwortlicher Redakteur Bretschneider vor Gericht, Adler wurde zu vier Monaten Arrest verurteilt, vorerst allerdings auf freiem Fuß belassen. Die Mutation war jedenfalls spätestens zu diesem Zeitpunkt beendet: der einstige Großkapitalist war auf dem Umweg über den Armenarzt zum unbestrittenen ersten Mann der Sozialdemokratie geworden. Zu einem Führer, dem vieles von dem fehlte, was den Demagogen ausmacht. Dr. Victor Adler war kein fesselnder Redner - im Gegenteil, er hatte einen leichten Sprachfehler. Aber Charisma wußte er durch Inhalt zu ersetzen, die Kraft der Worte durch den Funken der Idee. So gelang es ihm, die verschiedenen Richtungen der Partei zu verschmelzen. Den Höhepunkt fand diese Eini¬gung im historischen ersten Parteitag im niederösterreichischen Marktflecken Hainfeld, wohin am 30. Dezember 1888 die Delegierten aus allen Kronländern der Monarchie gekommen waren, um schließlich die von Adler verfasste »Prinzipienerklärung der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs<< mit drei Gegenstimmen und Stimmenthaltung anzunehmen.

Feierlich wurde der Parteizwist, der bis dahin zwischen Radikalen und Gemäßigten geherrscht hatte, für beendet erklärt. Aber dieser Hainfelder Parteitag, diese Adlerschen Grundprinzipien der Sozialdemokratie – die im übrigen in Gegenwart des Bezirkshauptmanns, eines Grafen Auersperg, angenommen wurden, dem, als nachher alle Anwesenden das »Lied der Arbeit« sangen, ob der Größe des historischen Augenblicks die Tränen in die Augen traten - dieses Ereignis also schuf nur eine Partei, keine Massenbewegung. Die entstand erst am 1. Mai 1890. Auch da ist Victor Adler Pate gestanden. Er schlug für diesen Tag eine friedliche Massendemonstration vor, einen »Spaziergang durch den Prater«, dem Wunsch des Pariser Kongresses der Zweiten Internationale entsprechend, die zu Demonstrationen zur Durchsetzung des Achtstundentags aufgerufen hatte.

Wochenlang hatten Behörden und Bürgertum vor diesem 1. Mai gezittert, im ganzen Reich verlief er dann friedlich, als machtvolle Demonstration einer zur machtvollen Bewegung gewordenen Idee, deren Vater Victor Adler geworden war. Seine Bedeutung als Führer der Sozialdemokratie wuchs weiter, als es nach wechselvollen Debatten trotz vieler Rückschläge gelang, dem Kaiser und der Regierung das Allgemeine Wahl-recht abzutrotzen. Immer wieder hatte sich Victor Adler gewehrt, dies mit Hilfe von Generalstreiks zu erreichen. »Wir können nicht mehr Kraft einsetzen, als wir haben«, sagte er. Und: »Der kühle Kopf muß die Führung über das warme Herz behalten.« An anderer Stelle bezeichnete Victor Adler - drang da der Mediziner durch? - das Gehirn als ein »Hemmungsorgan - und darin besteht seine Würde«.

Mag sein, daß Adlers kühler Kopf ihn bei aller Kritik an den Zuständen in der Monarchie deren Erneuerung, nicht aber das Zugrundegehen des damaligen Österreich herbeisehnen ließ, einen nach Nationalitäten geordneten Bundesstaat, aber nicht den Zerfall des Donauraums. »Die Sozialdemokratie kann dem Zugrundegehen Österreichs gegenüber nicht gleichgültig bleiben, denn nicht das Ende mit Schrecken ist in Sicht, sondern der Schrecken ohne Ende, ein Siechtum des Staates von unabsehbarer Dauer. Dadurch wird aber der Lebensnerv des Proletariats getroffen.« Vielleicht war es diese Geschichtsperspektive, die Victor Adler, so wie die anderen führenden Sozialdemokraten des damaligen Österreich, dazu bewog, sich mit den deutschen und österreichischen Kriegszielen von 1914 zu identifizieren. Demnach akzeptierten sie auch jenen von Friedrich Austerlitz in der von ihm, Victor Adler, gegründeten »Arbeiter-Zeitung« verfaßten Leitartikel, in dem es im Zusammenhang mit den von allen deutschen Parteien angenommenen Kriegskrediten hieß: »Da das deutsche Vaterland in Gefahr, da die nationale Unabhängigkeit des Volkes bedroht, tritt die Sozialdemokratie schützend vor die Heimat hin, und die >vaterlandslosen Gesellen<, die >rote Rotte<, wie sie der Kaiser einst schmähte, leiht dem Staat Gut und Blut der arbeitenden Massen.« Es seien seine wiedererweckten deutsch-nationalen Gefühle gewesen, die Victor Adler zu solcher Toleranz bewogen hätten, sagte später sein Sohn Friedrich Adler. Dieser, gleichfalls Sozialdemokrat, aber ein »Linker« in der Partei, erschoß als Protest gegen Krieg und Absolutismus am 21. Oktober 1916 den Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh. Victor Adler war von der Tat seines Sohnes tief erschüttert - er schrieb sie dem »beinahe pathologischen Idealismus« des Kriegsgegners zu.

Zwei Jahre später starb er. Den Zerfall des alten Österreich sah er noch mit wachem Auge, die Geburt des neuen erlebte er nicht. Sein Todestag ist der 11. November 1918. Am nächsten Tag wurde die Republik ausgerufen.

Werke (Auswahl)#

  • Aufsätze, Reden und Briefe, 5 Bände, 1922-29

Literatur#

  • M. Ermers, Victor Adler, 1932
  • R. Charmatz, Lebensbilder aus der Geschichte Österreich, 1947
  • F. Kreuzer, Was wir ersehnen von der Zukunft Fernen, 1988
  • L. O. Meysels, Victor Adler - Die Biographie, 1997
  • Österreichisches Biographisches Lexikon
  • Neue Österreichische Biographie
  • Neue Deutsche Biographie

Weiterführendes#

Quellen#

  • AEIOU
  • Große Österreicher, ed. Th. Chorherr, Verlag Ueberreuter, 256 S.
  • Wiener Zeitung


Redaktion: I. Schinnerl