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2 Einführung
zumParolenspenderderVergangenheitsverdränger1945machte,
ihn aber schließlich auch als einen der ersten Schriftsteller der
Nachkriegszeitdazubrachte,mitdemGedichtGermanien (1946)
unddemRomanDerGraf Luna (1955)dieunbeliebteFragenach
der historischen (Mit-)Schuld Österreichs bzw. der Österreicher zu
stellen. Diese auf den ersten Blick unvereinbaren Positionen zeigen
sich innerliterarisch durch einen quasi subkutanen Diskurs von
,Schuld‘und ,Schicksal‘ verklammert–willmannichtals einzige
Beweggründe fürdieseWandlungenLernetsOpportunismusund
seinenWillenzurMarktpräsenzannehmen.273
LernetsTextederNachkriegszeit–v.a.Germanien,DerGrafvonSt.Germain
undDerGrafLuna–sind jedenfalls vonderAuseinandersetzungmitden
FolgendesNationalsozialismusgeprägt; in jenenJahren, indenensich
Österreicherfolgreichals „erstesOpfer“Hitlerspositionierteunddem
Staatsvertragentgegenfieberte,durchauskeineSelbstverständlichkeit.
Freilich:DieErwähnungvonZwangsarbeit in (Konzentrations-)Lagern
in Der Graf Luna274 erfolge weniger unter ethischen als unter ökono-
mischen Gesichtspunkten, so Thomas Eicher, der der Ansicht ist, dass
dies „nur bedingt der Figurenperspektive des ,degenerierten‘ Helden
Jessierskyangelastetwerdenkann“.275 EinenähnlichenVorbehalt for-
muliert Daniela Strigl: „Wann immer im Gedicht [Germanien, C.D.] die
VerbrechendesDrittenReichsaufgezähltwerden,stehtMaterielles, steht
das Sichvergreifenan Habund Gut anerster Stelle [...]“276 – sieargu-
mentiertallerdingsauch,dassLernet sich inGermanien „indenKreisder
Schuldigeneinbezogen“ habe.277 HélèneBarrière ist sogar derAnsicht,
Lernet-Holenias Anlauf zur Vergangenheitsbewältigung (in Der Graf
273 Ruthner: FataleGeschichte(n) im„Zwischenreich“ S.17.
274 Wien–Hamburg:PaulZsolnayVerlag1955.
275 Eicher: Lernet-HoleniaunddieösterreichischeNachkriegszeit, S.14;ähnlich inders.:
Grandseigneurundmehr:AlexanderLernet-Holenia (1897–1976). In: JattieEnklaar/
Hans Ester/EvelyneTax(Hrsg.): Im Schattender Literaturgeschichte. Autoren, die keiner
mehrkennt?PlädoyergegendasVergessen (DuitseKroniek,Bd.Bd.45).Amsterdam–New
York:Rodopi2005,S.149–158,hierS.154.
276 Strigl: ÜberdasZeitgemäßeanLernets „Germanien“, S.80.
277 Ebd.,S.67.„EskannkeinZweifeldarüberbestehen,daßLernet-HoleniasGermanieneine
unerbittlicheVerurteilungdesNS-Regimesdarstellt“, schreibtThomasHübel (Thomas
Hübel:Die leichteLast. FigurendesOpferausschlusses inLernet-HoleniasGermanien.
In: Hélène Barrière/Thomas Eicher/Manfred Müller [Hrsg.]: Schuld-Komplexe. Das
Werk Alexander Lernet-Holenias im Nachkriegskontext. Oberhausen: Athena Verlag 2004,
S. 91–117, hier S.97); freilich eine, die in Kauf nimmt, „daß aus einem Gedenken,
dessen inhaltlicheKriterienunddessenFormenarsenalanderantikenErinnerungskultur
ausgerichtet sind,dieOpferdesNS-Regimesausgeschlossenbleiben“ (ebd., S.102).
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Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
Briefe 1938-1945
- Titel
- Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
- Untertitel
- Briefe 1938-1945
- Autor
- Christopher Dietz
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78887-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorien
- Weiteres Belletristik