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3 Briefe
3.1 Briefe1938
1)AnMariaCharlotteSweceny,o.O. [St.Wolfgang],15.7.[1938]
LiebeLotte,
gesternalsowar ich in IschlundholtevondortdenJeanLafaireab,
weil er sich furchtbar langweilt und glaubt, er wird sich hier weniger
langweilen. IchschreibeschonseitdreiWochenandenerstenvierSeiten
des neuen Buches herum. Ich bin Mitglied des Deutschen Automobil
Clubs geworden undhabe jetzt einen anderenWimpel am Wagen, einen
weißen.VonOlgahabe ichguteNachrichten,dasheißt:Sie sindnicht
allzu gut, aber sie sind wenigstens nicht schlecht. Auch von hier rücken
die Leute schon auf kurze Zeit ein, und es ist, glaube ich, überhaupt
vieles imAufbruch.
Das wird viele Probleme lösen. Im Grunde, glaube ich, haben auch
Sie Ihre|Problemeschongelöst. Ichhabedarübernachgedachtundbin
zu diesem Schluss gekommen. Der Mensch wird mit seinem Verstand
nicht fertig, aberwaser tut, tut ermeist gegenseinenVerstand,unddas
istdanngut.DenVerstand,denmussmanmeist ausschalten.Wir sind
nochnicht soweit, dasswirwirklich theoretischdenkenkönnten.Wenn,
sodenkenwirnurpraktisch.
Wirklich, ich glaube, dass, was Sie tun, recht ist, Sie wissen es nur
selber nicht. Sie sollten also im Grunde über Ihre Situation eigentlich
garnicht nachdenken.Auch wennman lebtund sichunglücklich fühlt,
so merkt man hinterher meist, dass man glücklich gewesen ist. Aber
mansoll sichauchnichtdarüberbeklagen,wennmansich| in seiner
Haut nicht ganzwohl fühlt. Sich nicht wohlfühlen, heißt einfach leben.
Niemand fühlt sich wohl. Leben heißt: Wünsche haben. Und je weniger
Wünschezuhabenmanglaubt, destomehrWünschehatman.
Die Sache mit diesem René oder Renatus ist sehr sonderbar. Mein
Familienname istnichtsweiter alsdie französischeZusammenziehung
von Renatus, daher mit dem französischen Artikel. In alter Zeit hiessen
wir Le Renat oder Lerenat. Das kommt daher, dass wir Nachkommen
desRenévonBar sind, einesZeitgenossender Jeanned’Arc.
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Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
Briefe 1938-1945
- Titel
- Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
- Untertitel
- Briefe 1938-1945
- Autor
- Christopher Dietz
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78887-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorien
- Weiteres Belletristik