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3.1 Briefe1938
3)AnMariaCharlotteSweceny,o.O. [St.Wolfgang],o.D. [Ende
Juli 1938]
LiebeLotte,
vielen Dank für Ihren Brief. Es ist selten, dass für jemand eine so
meisterhafte Antwort schon längst bereit liegt, wie für Sie: lesen Sie
den Dorian Gray. Da steht alles beantwortet, was Sie beschäftigt. Sie
brauchen es nur richtig zu lesen. (Sie werden dann, nebenbei, auch
merken,umwieviel besserdiesesBuch ist alsmeineeigenenBücher.)
Sehrgelachthabe ich,dassSie schreiben,derTonmeinesBriefeshabe
Ihnennichtganzgefallen.AberdannvermutetenSiedoch sehr richtig,
eskönntediesauf äußereUmständezurückgehen.Nun, so ist es auch.
Von hier kann ich jetzt leider nicht fort, obwohl ich Sie natürlich
schrecklich | gerne sähe. Aber es ist das jetzt wirklich nicht zu machen.
SeienSiemirnichtböse,undglaubenSiemir, ich täteesgern. –
Siehabennatürlichauch rechtdamit, dass es schwer ist, sichauszu-
drücken. Fast hätte ich gesagt: Wem sagen Sie das? Mein ganzes Leben
besteht leiderdarin,mich schwerauszudrücken.Übrigensgehtesmit
dem Roman, zufälligerweise, recht gut vorwärts. Wenn ich wirklich
Gelegenheit hätte, ihn langsam zu Ende zu schreiben, könnte er ein
gutesBuchwerden.Aberwerweiß,ob ichdieseGelegenheithabe.Die
Weltgeschichte rottet sich wieder einmal mit erheblichen Wetterwolken
zusammen, und vielleicht habe ich bald etwas angeblich Wichtigeres zu
tun.
DasWetter ist schönundheißundes tutmir so leid,dassSienichts
davon haben. Es ist hier ziemlich still, – in der Nachbar-|schaft noch
stiller. Eigentlich freut mich das. Wenn auf der Welt schon was los ist, so
soll es sichaucheinwenig romantischauswirken.Undes istdurchaus
romantisch, dass es nicht so ist wie sonst. Mich erinnert die ganze
Situation hier stark an die Jahre zu Beginn des Kriegs und nach dem
Kriege. Wolfgang ist ein merkwürdiger Boden: man merkt hier so die
Weltgeschichte. Fad wär’s gestern geworden, wenn es nichts gegeben
hättealseinenbehaglich-überfülltenBetrieb.Aberdas istdurchausnicht
so. –
Lesen Sie also den Dorian Gray. Er ist zwar aus einer ganz andern
Zeit, – aber die wirklichen Probleme aller Zeiten sind ganz die gleichen.
Es ist vor allemein so schönesLeitmotiv drin: Mansoll dieSeele durch
die Sinne heilen und die Sinne durch die Seele. Besser hat das niemand
gesagt.Es istüberhauptein sehrgroßerDichter.Manneigtdazu, ihn für
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Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
Briefe 1938-1945
- Titel
- Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
- Untertitel
- Briefe 1938-1945
- Autor
- Christopher Dietz
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78887-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorien
- Weiteres Belletristik