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3.2 Briefe1939
stimmungsmäßigen Missverständnissen geschrieben. Vielleicht verstehst
Dunichtganz,warumichDir imAnfangderganzenGeschichtesowenig
geschrieben habe. Nun, das möge Gott nicht wollen, dass Du’s wirklich
je verstündest und auch in Situationen kämst, in denen Du begreifst,
dass man nicht einmal Zeit für zwei ruhige Zeilen hat. – Zudem glaubte
ichEuchnoch inBulgarien,undunsereDivisionwarderartweit vorn
undhing derart in derLuft (was jetztdas Erstaunender ganzenArmee
bildet), dass die Polen diverse Postsendungen abgefangen haben. Es
kann sehr gut sein, dass Briefe von mir an Dich dabei waren. (Eine
Zeit langkriegtenwirBenzinundVerpflegung jaauchnurmehrdurch
Flieger.)Kurz: glaub,bitte, nicht, dassDuganz rechthast.
Meine anderen Briefe, insbesondere den, welchen Leutnant M. auf-
gegeben hat, wirst Du inzwischen erhalten haben, – denn jetzt, wo’s
eigentlichkeinFeldmehrgibt, funktioniertdieFeldpostgroßartig. Im
Anfangbrauchte jederBriefmindestens18Tage.
Ichwäre für einpaar ZigarettenundBonbons sehrdankbar.Hoffent-
lich brauche ich nun hier wirklich nicht mehr allzu lange hier herum-
zusitzen.Gesternkaufte jemand fürmicheinpaarPelzfelleundeinen
Opossumkragen. Alles kauft, so weit möglich, | Pelze, aber es gibt in
Polen fast nichts mehr zu kaufen, die Bahnverbindungen sind, durch
Fliegerbewurf, immernochunterbrochenundnichtganzwiederherge-
stellt, – und insbesondere können die Geschäftsleute die zum Teil doch
wiederhergestelltenVerbindungennochnichtbenützen.Sokauftman
alles zusammen, was am Platze ist, aber es ist nicht mehr viel am Platze.
Nachden letztenoffiziellenBerichtenglaube ich,dassmanwirklich
denWunschhat,dieSache imWestenzubereinigen.Hemmendwirkt
vielleicht die englische Zähigkeit und das Festhalten an einem einmal
gefasstenEntschluss. –Aber imganzenscheintmirdieSituation füreine
erfolgreicheAuseinandersetzungmitdemWestennochverfrüht.
Viel Erfolg erhoffe ich mir von dem Telefongespräch, um das ich Dich
gebeten habe. Ich bitte, sei recht hinter der Sache her. Denn die Zeit ist
kostbargeworden,besonders inder jetzigenZeit.
DasLiebsteundSchönsteDir,O.C.unddenFreunden!
d.30.Spt. 1939
N.
107
Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
Briefe 1938-1945
- Titel
- Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
- Untertitel
- Briefe 1938-1945
- Autor
- Christopher Dietz
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78887-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorien
- Weiteres Belletristik