Seite - 110 - in Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny - Briefe 1938-1945
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3 Briefe
Es tutmir leid,dass ich,wenngleich ichnurwenigDiensthabe, vor
lauterKleinigkeiten,GängenoderFahrtenzurStadt,Besorgungenund
so, – dass ich nicht auch dazukomme, ein wenig zu schreiben. Vielleicht
aber wäre es dennoch zu früh; denn ich fühle eine gewaltige Sammlung
erst eigentlich sich vorbereiten. Wie freilich, diese Sammlung sich in
eine andre Substanz umsetzen wird, weiß ich nicht. Man | sagt, dass
Künstler,unmittelbarvor IhremTode,oftmals erklärthaben, sie stünden
im [sic!] Beginn ihrer Arbeit. Vielleicht ist eben auch der Tod, oder: vor
allem er, eine wirkliche Leistung. Vielleicht aber sind es doch nur Dinge,
dieunsplausibler scheinen,wieetwawiederumBücher ... wirwissen
nicht, mit welchen Maßen der Ewige die Leistung mißt. Wir wissen
nicht, ob sie sichtbar sein müsse. Wahrscheinlich wohl nicht. Es kann
die unsichtbare Arbeit des Totseins, es kann, ebenso gut, ein hohes Alter
und eine Reihe sämtlicher Werke, es kann der Ruhm, es kann etwas
ganzunberühmtbleibendes sein.Eskann–unddies ist dasverwirrende
– ebenso gut edel wie unedel sein. Nur eines – das wissen wir – | ist
es bestimmt nicht: Oberflächlichkeit. Es gibt nur eines, das von allem
Anfang an nicht ist: das Kleben an der Oberfläche der Dinge. Und dieses
Jahrhundert hat rundum so viel Oberfläche, dass, ähnlich wie bei der
Kohlenpatrone einer Gasmaske, nur mehr Oberfläche und gar keine
Substanzmehrvorhanden ist. –
Eben erhalte ich Dein Brieflein, Zigaretten und Rasierklingen. Vielen,
vielenDank!
Ich schließe eilig, weil ich sofort einen höchst wichtigen Brief an
Ullstein schreibenmuss, – ineinerähnlichenSache,wieesdie ist, inder
Du telefonierthast.Werdensehen ...
DasLiebsteundSchönste!
Neni
33)AnMariaCharlotteSweceny,o.O. [Polen],4.10.[1939]
L.L., m.H., nun bin ich wieder ein wenig ausgesöhnter mit meinem
Schicksal, denn ich kriege meine Stiefel vor dem Abmarsche doch noch.
Ich war heute bei dem Kommandeur des andern Halbregiments, dessen
StabinzweiSchlössernliegt.DieSchlösser liegenzwischenTeichen,Wie-
senundEichengruppen.AufdemWasser schwimmenSeerosenblätter.
Das eine Schloß ist im Stil einer englischen Mansion, mit leicht polni-
schemEinschlag, eingerichtet, dasandremehrals Jagd-Hauptquartier.
Die große Weite der Landschaft, mit diesen Inhalten, wirkte äußerst
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Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
Briefe 1938-1945
- Titel
- Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
- Untertitel
- Briefe 1938-1945
- Autor
- Christopher Dietz
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78887-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorien
- Weiteres Belletristik