Seite - 111 - in Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny - Briefe 1938-1945
Bild der Seite - 111 -
Text der Seite - 111 -
3.2 Briefe1939
beruhigend. Noch ist die ganze Oberfläche der Erde nicht durchaus
verdorben, und wo sie verdorben ist, lässt sie sich, scheint’s wieder
regenerieren: nicht im Stile von Verschmocktheiten, sondern im Stil der
Dinge, die rein und natürlich aus der Landschaft und einer schönen
AuffassungderMenschenhervorgehen.Die sonstigeVerunstaltungder
Oberfläche der Welt ist so hässlich als widernatürlich – und wird sich, in
ihrerUnnatur, deshalbauchnicht erhaltenkönnen.
Ich habe inzwischen oft darüber nachgedacht, dass Du geschrieben
hast: Ichweißgarnix ... Nun, ichweiß,eigentlich,auchnichts, ichweiß
nurmit absoluterGewissheit, dassalles,wasgeschieht, gut ist, unddass
die Art, auf die’s geschieht, auf dem Wege liegt, der zum Guten führt.
Das weiß ich. Und man soll sich über die Mittel, die das Schicksal wählt,
unddieumwegig scheinen,nichtbeunruhigen.Es sind keineUmwege.
Es ist der geradeste Weg. Die Dinge sind spröde und die Erkenntnis
| ist schwer. Die Erkenntnis im wachen Zustand ist überhaupt nicht
möglich. Nur ineiner Art überwachen Zustands siehtman und erkennt
manrichtig.Vielleicht ist esdiesundähnliches,wasdieserFeldzugmich
lehren soll. Denn er lehrt mich viel. Er lehrt mich vor allem, dass es
falsch von mir war, zu glauben, ich hätte nichts mehr zu lernen.Nur zu
lernenhabenwiralleundnichts andres zu sein. Freilichzu lernen:auf
eineWeise,die sich selbst ergibt.
Ich schließe, damit dieser Brief noch abgeht. Das Schönste und Liebs-
te!
d.4.Okt.
N.
34)AnMariaCharlotteSweceny,o.O. [Polen],5.10.1939
L.L.,m.H.,
also: ich habe die Stiefel bekommen, und wir sind, vorläufig, nicht
weitergezogen. Dagegen bin ich krank: ich habe eine hier ziemlich
häufigeGrippe,beideralleshintenhinausbraust.Arm! Ichhatteaber
Gelegenheit, diesenVormittagzuBett zu liegen,oderwasmansonennt;
dennganzvollständig ist diesesBettnicht.
IchhabeeinegroßeBitte.WürdestDusoliebsein,mirrechtraschzwei
Paarmitteldicke Wollsockenzu schicken?Nicht so dickewie Skisocken,
aber auch nicht so dünne wie Strümpfe. Sondern schön in der Mitte
aberdocheherdick.Wäre sehr lieb! IchdankeDich[sic!] vielmals im
voraus.
111
Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
Briefe 1938-1945
- Titel
- Alexander Lernet-Holenia und Maria Charlotte Sweceny
- Untertitel
- Briefe 1938-1945
- Autor
- Christopher Dietz
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-78887-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 468
- Kategorien
- Weiteres Belletristik