Seite - 21 - in Algorithmuskulturen - Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
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1. Was sind Algorithmuskulturen? 21
Tarleton Gillespie untersucht in seinem Beitrag die Verflochtenheit und
Heterogenität des automatisierten Gatekeepings, indem er die vielgestaltige, in
der Forschung jedoch weitestgehend vernachlässigte Subkategorie der Tren-
ding-Algorithmus’ in den Blick nimmt. Tatsächlich sind die Trending-Algo-
rithmen mittlerweile allgegenwärtig. Ob man auf Buzzfeed, Facebook oder
Twitter schaut, sie finden sich überall und sind dabei nicht selten Ikonen eines
neuen Genres, welches wiederum zur Ikone seiner selbst wird, da das Trending
selbst zu einem Trend geworden ist. Gillespies feingliedrige Analyse setzt dem-
nach auch nicht bei der Frage an, was Algorithmen mit kulturellen Artefakten
machen. Vielmehr steht die Frage im Mittelpunkt, »was geschieht, wenn Algo-
rithmen als Kultur aufgegriffen werden, wenn ihre bestimmten Arten der Gel-
tendmachung lesbar, deutbar und strittig werden« (Gillespie in diesem Band:
100)? Trending-Algorithmen sind Rituale der Messung, was sie jedoch genau
messen ist unklar. Sind sie ein flüchtiger Blick in die Popularität verschiedens-
ter Webinhalte, wie es American Top 40 oder Billboard waren? Sind sie kleine
Fenster zu ›uns selbst‹, was sofort die Notwendigkeit im Schlepptau hätte zu
definieren, was denn dieses ›Wir‹ ist, in das sie uns Einblick gewähren, eine
Öffentlichkeit, eine Nation etc.? Oder geht es hier nicht vielmehr um das Re-
gistrieren einer Art Puls, einer Geschwindigkeit oder Bewegung zwischen ge-
heim gehaltenen und somit unberechenbaren Punkten? Überraschenderweise
befeuern diese Schwierigkeiten den Drang eher, die algorithmische Messung
als einen bedeutungsvollen Vollzug zu erfassen und zu verorten. Trending-
Algorithmen sind populär, gerade weil sie mehrdeutig sind. Zudem sind reale
und konkrete Verzerrungen so zahlreich, dass sie gewissermaßen in die DNA
dieser Algorithmen eingelassen sind. Das hat Gillespie zufolge mit dem Black-
Box-Charakter der meisten Social-Media-Plattformen zu tun. Noch wichtiger
jedoch ist die Tatsache, dass die Verzerrungen in erster Linie interpretierte
Verzerrungen in dem Sinne sind, dass sie nur in Abhängigkeit von Erwartun-
gen, Hoffnungen und Wünschen existieren. Insofern ist Validität eine kultu-
relle Kategorie. So wurden beispielsweise Twitter und Facebook immer wieder
für die Trivialität und Gehaltlosigkeit ihrer Trends mit dem Hinweis kritisiert,
dass das ›eigentlich‹ aktuelle Thema dort nicht erscheine. Die Kontroversen
über Trending-Algorithmen werden sicherlich nicht abebben. Sie tauchen im-
mer wieder auf, im Kontext verschiedener Orte, Leute und Themen. Solche
Kontroversen sind Symptome von etwas tiefer Liegendem – sie sind Ausdruck
von Kämpfen um das, was als legitim gilt und was nicht.
Gatekeeping, das sollte bis hierher deutlich geworden sein, stellt ein Phäno-
men mit performativen und begrifflichen Folgen dar. Das Gatekeeping betrifft
die Sichtbarkeit und Zirkulation von nahezu allem, was als kulturell zu gelten
hat. Durch die Ausbreitung von Algorithmen wurde es einer grundlegenden
Transformation unterzogen. Umso mehr stellt uns dieser Wandel vor die Her-
ausforderung, die Rolle des Nexus’ von Autorität und Vertrauen innerhalb der
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Titel
- Algorithmuskulturen
- Untertitel
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Autor
- Robert Seyfert
- Herausgeber
- Jonathan Roberge
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 242
- Schlagwörter
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Kategorie
- Technik