Seite - 24 - in Algorithmuskulturen - Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
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Jonathan Roberge und Robert
Seyfert24
lauf oder aus wechselseitigen Auswirkungen in der Interaktion verschiedener
algorithmischer und nicht-algorithmischer Aktanten hervorgehen. Eben dies
können die Computerwissenschaften schwerlich berücksichtigen, da es ihrer
DNA anhaftet, Algorithmen über Präzision und Korrektheit zu definieren.
Computerwissenschaftler können Abweichungen einzig menschlichen Rou-
tinen zurechnen, und schließen somit von vornherein die Möglichkeit aus,
dass nicht jede Wiederholung identisch ist. Wir gehen jedoch mit Deleuze da-
von aus, dass jede Iteration von Routinen stets leichte Abweichungen mit sich
bringt (Deleuze 1992). Wir würden sogar so weit gehen zu behaupten, dass
der computerwissenschaftliche Diskurs algorithmische Praktiken konzeptuell
ausschließt, und damit auch jegliche algorithmische Abweichung vom Script.
Für die Kultursoziologie ist eine einseitige Zurechnung von Abweichungen
auf menschliche Faktoren freilich problematisch. Vielmehr scheint die Idee
unfehlbarer Präzision und Korrektheit von Algorithmen Teil der oben bereits
angesprochenen Legende algorithmischer Objektivität zu sein, in deren Mittel-
punkt das immerwährende Streben nach höherer Rationalität steht, und in
welcher der autonom agierende Algorithmus letztlich menschliche Routinen
ersetzt. Der Legende nach versprechen Algorithmen eine identische Iteration,
die zügige und einfache Modellierung sowie präzise Vorhersagen ermöglicht.
Allerdings gilt es, jenes Imaginäre algorithmischer Kulturen, mit all seinen
Verheißungen und Träumen von der algorithmischen Praxis zu unterscheiden.
Innerhalb der Algorithmuskulturen können wir jedoch den Wandel sozialer
Beziehungen sehr gut bezeugen, so etwa mit dem Auftauchen hochgradig nut-
zerspezifischer Beziehungen. Der Beitrag von Joseph Klett stellt ein Beispiel
für einen solchen Wandel dar, wenn er den Übergang vom digitalen Stereo
zum »immersiven Audio« beschreibt. Stereofonie (der Klang, den wir von klas-
sischen Stereoanlagen erfahren) operiert mit generischen Beziehungen: Jeder
einzelne Lautsprecher richtet hier eine feste Relation zum ›Nutzer‹ ein, der in
diesem Arrangement als ein invariables sensorisches ›Gerät‹ fungiert, welches
wiederum an einen festgelegten Punkt im Raum gebunden ist (der sogenann-
te Sweetspot). Demgegenüber sind algorithmisch realisierte Klanglandschaften
hochgradig personalisiert. Klett zeigt auf, wie in der Tontechnik, im Gleich-
klang mit zahlreichen anderen technologischen Arrangements, Algorithmen
zunehmend keine allgemein unbestimmte Mittlerfunktion mehr einnehmen,
sondern als hochgradig spezifische und gleichsam spezifizierende Mittler zwi-
schen technischen Diensten und den einzelnen Individuen operieren. Eine
solche Personalisierung erlaubt eine bedeutend reichhaltigere Klagerfahrung,
da sie von vormals festgelegten Stellen der optimalen Klangbeschallung un-
abhängig wird. Der Klang richtet sich stattdessen nach unserer singulären
Klangperspektive. Der Wechsel von generischen zu dynamisch-adaptiven
Relationen wirkt sich unweigerlich auf unser soziales Leben aus. Indem per-
sonalisierende Algorithmen sich auf die Subjekte und ihre Körper einstellen,
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Titel
- Algorithmuskulturen
- Untertitel
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Autor
- Robert Seyfert
- Herausgeber
- Jonathan Roberge
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 242
- Schlagwörter
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Kategorie
- Technik