Seite - 33 - in Algorithmuskulturen - Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
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1. Was sind Algorithmuskulturen? 33
zen sich auf die klare Definition der Interaktionspartner, nur so können wir
uns sicher sein, wem wir etwas verkaufen respektive von wem wir etwas kau-
fen.
Oliver Leistert zeigt in seinem Beitrag zu diesem Band auf, dass die Platt-
formen sozialer Medien das Problem der Unsicherheit mit Praktiken des Puri-
fizierens bearbeiten, die sicherstellen sollen, dass wichtige Kommunikationen
nur zwischen ›echten‹ Nutzerinnen stattfinden. Die Nutzerinnen wiederum
müssen daran glauben, dass ihr Gegenüber echt ist, d.h. sie müssen der Platt-
form, die sie nutzen vertrauen. Daher ist die »algorithmische Produktion von
Vertrauen« (Leistert in diesem Band: 217) einer der wichtigsten Wirkmecha-
nismen der Plattformen der Sozialen Medien. Genau das ist es, was solche
Plattformen tun: sie bauen auf Vertrauen um das Problem der Unsicherheit zu
lösen. Leistert beschreibt ferner Verdopplungsmechanismen unter den Bedin-
gungen dieser Unsicherheit. So sind bestimmte soziale Bots dazu entwickelt,
das Vertrauen auszunutzen, das die Social-Media-Plattformen so akribisch ver-
suchen aufzubauen. Leistert begreift diese Bots als parasitäre Maschinen, die
sich von unserem Begehren nach Followern, Bewertungen und dem Trendy-
Sein ernähren. Als ›algorithmische Piraten‹ leben sie von ›reiner‹ Interaktion.
Beispielsweise kann das Begehren nach Followern dahingehend ausgebeutet
werden, dass man ›automatisch‹ mit gefälschten Followern versorgt wird. Zu-
dem ist es für einige (insbesondere gewerbsmäßige) Nutzer nicht ungewöhn-
lich, sich Follower auf Social-Media-Plattformen zu kaufen. Ein weiteres Bei-
spiel für algorithmische Piraterie sind die Harvester, die versuchen, möglichst
viele ›Freundschaften‹ zu schließen, um Nutzerdaten abzugreifen. Die Harves-
ter ernähren sich dabei nicht allein von dem Begehren der Nutzer nach Popu-
larität (in Form hoher Follower-Zahlen), sie leben zugleich auch von den Daten-
strömen, die das Kerngeschäft der Social-Media-Plattformen bilden. Leistert
verweist insofern auf die performativen Effekte innerhalb solcher Algorith-
muskulturen. Die Bots Nutzen nicht allein den Umstand allgemeiner Unsi-
cherheit aus, sie erhöhen diese Unsicherheit sogar noch – und das gilt auch
für die Bots selbst. Wenn es Bots gibt, die humane Akteure mimen, können
Bots selbst nicht sicher sein, ob sie es mit ›normalen‹ Nutzern zu tun haben.
Auf diese Weise werden Bots schließlich selbst gezwungen, fingierte Interak-
tionspartner zu identifizieren. Auf der einen Seite verschmutzen die Bots die
Interaktionen zwischen echten Nutzern, welche die Social-Media-Plattformen
mit so hohem Aufwand sicher zu stellen versuchen. Auf der anderen Seite sind
die Bots letztlich auch selbst dazu gezwungen, die von ihnen verursachten Ver-
schmutzungen zu reinigen. Leistert schildert hier, wie Reinigungspraktiken
und parasitäre Bots den Prozess der Produktion und Reduktion von Unsicher-
heit performativ intensiveren und in die Eskalation treiben.
Bei der Auslegung von Algorithmuskulturen hat man es nicht allein mit
epistemischen Fragen zu tun, es geht auch nicht primär darum zu bestimmen,
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Titel
- Algorithmuskulturen
- Untertitel
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Autor
- Robert Seyfert
- Herausgeber
- Jonathan Roberge
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 242
- Schlagwörter
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Kategorie
- Technik