Seite - 44 - in Algorithmuskulturen - Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
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Lucas D.
Introna44
lungsträgerschaft innerhalb und durch das soziomaterielle Ganze des Internets
zu fokussieren. Wie Latour aufzeigte, durchströmt Handlungsträgerschaft
nicht allein menschliche Akteure, sondern ebenso nicht-menschliche (Latour
1988, 2005) und das trifft in unserem Fall auch auf Algorithmen zu. Innerhalb
des soziomateriellen Ganzen des Internets ist Handlungsträgerschaft stets et-
was Geborgtes und gleichsam Übersetztes und nie einem singulären mensch-
lichen oder nicht-menschlichen Akteur zurechenbar (Latour 2005: 82). Das
beeindruckbare Subjekt ist zwar ein Produkt, es gibt aber nicht dessen eigent-
lichen Produzenten als solchen. Dem Fluss der Handlungsträgerschaft durch
eine Anordnung heterogener Akteure der soziomateriellen Assemblage (oder
des ›agencement‹, wie Çalişkan und Callon [2010] sagen würden) des Internets
hindurch zu folgen, stellt ein schwieriges, wenn nicht gar unmögliches Unter-
fangen dar. Dies gilt umso mehr für digitale Akteure (Introna 2006; Introna/
Nissenbaum 2000; Introna/Wood 2004). Digitale Handlungsträgerschaft ist
allzu oft zusammengesetzt, undurchdringlich und opak und dies gilt selbst
noch dann, wenn man dazu in der Lage ist den Code zu lesen (Barocas et al.
2013). Dennoch ist es geboten, den Bewegungen von Handlungsträgerschaft
innerhalb sozio-digitaler Assemblagen (einschließlich der Algorithmen) nach-
zuspüren, denn diese Akteure handeln nicht nur, sondern sie bringen zugleich
auch hervor, und das bedeutet (präziser formuliert), dass sie performativ sind
(Barad 2007, Pickering 1995, Butler 1990). Anders gesagt zeichnen digitale
Akteure das Subjekt nicht nur auf, sie bringen es gleichsam hervor. Oder um
es mit Whitehead zu sagen: »Daß wie ein Einzelwesen wird, begründet was
dieses Einzelwesen ist; […] Sein ›Werden‹ liegt seinem ›Sein‹ zugrunde. Dies
ist das ›Prinzip des Prozesses‹.« (Whitehead 1979: 66) Um die algorithmische
Choreographie des beeindruckbaren Subjektes nachzuverfolgen, werden wir
im Folgenden auch den technischen Details unsere Aufmerksamkeit widmen
müssen – allerdings betrachten wir sie dabei weniger als bloße technische De-
tails, denn als performative materiell-diskursive Praktiken (Orlikowski/Scott
2015). Somit adressieren wir sie als historisch kontingente Mechanismen der
Macht/des Wissens, welche die beeindruckbaren Subjekte zunehmend und
auf immer komplexere und spezifischere Weise hervorbringen. Wir widmen
uns Kreisläufen, in denen Wissen, Macht und beeindruckbare Subjekte in
reziproken Bedingungsverhältnissen zirkulieren – in und durch Ströme von
Handlungsträgerschaft (Ingold 2011).
Der Verlauf des Narrativs von der Hervorbringung des beeindruckbaren
Subjekts, der im Folgenden nachgezeichnet werden soll, ist in gewisser Weise
ein historischer, aber nicht im Sinne einer linear-teleologischen Erzählung, die
auf eine Geschichte der Online-Anzeigenwerbung hinausläuft. Es wird uns
eher um eine Art der Genealogie im Sinne Foucaults gehen (Foucault 2002),
die die konstitutiven Elemente der Hervorbringung des beeindruckbaren
Subjektes herausstellt. Dieses Vorgehen schließt mit ein, dass wir auch den
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Titel
- Algorithmuskulturen
- Untertitel
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Autor
- Robert Seyfert
- Herausgeber
- Jonathan Roberge
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 242
- Schlagwörter
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Kategorie
- Technik