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Lucas D.
Introna46
levant ist und was nicht. Man denke nur an die Bildschirme in Flughäfen,
Hörsälen und Bahnhöfen. Als positionierte Screens filtern diese Oberflächen
ganz automatisch, sie priorisieren und fixieren unsere Aufmerksamkeit. Da-
mit Werbung funktioniert, muss der Blick des Subjektes als ein disziplinierter
hervorgebracht werden, das bedeutet, er muss als verlässlicher fixiert werden.
Genauer noch: Das Subjekt muss als ein blickendes subjektiviert werden. Die
Hervorbringung des Computerbildschirms als Screen, als ein Ort an dem
Relevantes erscheint, ist hier ein erster Schritt. Die mehr oder weniger zu-
verlässige Fixierung des Blickes transformiert den Blick des Subjekts in ein
fixierbares Objekt, und diese Transformation ist Callon und Muniesa (2005)
zufolge auch der erste Schritt auf dem Weg zu dessen Vermarktlichung. Mit
der Fixierung des Blicks ist ein Anfang in der Kalkulierbarmachung desselben
getan. Es gilt an dieser Stelle zu vermerken, dass die weite Verbreitung von
Computerbildschirmen (PCs, Tablets, Smartphones etc.), welche unsere Blicke
in der Gegenwartsgesellschaft anziehen und fixieren, einen immensen Ein-
fluss auf den Wandel der Werbung weg von ihren althergebrachten Formen hin
zu den digitalen Medien hatte (Evans 2009). Wie wird die Hervorbringung des
blickenden Subjekts algorithmisch verwirklicht?
Die erste gezielte Online-Werbeanzeige erschien 1990. Möglich geworden
war dies durch Prodigy. Prodigy war ein Joint Venture von IBM und Sears,
also, und das gilt es hervorzuheben, eine Gemeinschaftsunternehmung eines
Technologiekonzerns und eines Einzelhandelsunternehmens. Das in dieser
Unternehmung imaginierte Subjekt war von Anfang an ein beeindruckbares.
Prodigy gründete eine Art Internet-Service, der über standardmäßig kunden-
spezifische graphische Benutzerschnittstellen (GUIs)4 bereit gestellt wurde
(Abb. 2.1). Durch den GUI-Zugriff auf eine Unzahl von Inhalten, konnten die-
se von den Werbern und Entwicklern sorgfältig kuratiert werden – und das
noch vor der Entwicklung von HTML und HTTP durch Berners-Lee. Diese
sorgfältig gepflegten Inhalte richteten wiederum eine potentiell verlässliche
Beziehung zwischen den angezeigten Inhalten und dem Blick des Subjektes
ein – freilich nur solange dieser festgehalten werden konnte. Man achte auch
auf die Ähnlichkeit des GUI-Designs mit der Ästhetik althergebrachter Medien
wie Zeitungen oder Zeitschriften.
Mit der standardmäßigen GUI war ein erster notwendiger Durchgangs-
punkt geschaffen (Callon 1986). Die Zustellung einer Vielzahl an Diensten,
wie EMail, Anzeigetafeln, Nachrichten etc. vermittels dieser GUI-Oberfläche
suggerierte Relevanz und Interesse und positionierte den Nutzer vor dem Bild-
schirm als ein staunend blickendes Subjekt. So beinhaltete Prodigy Werbung –
für dieses mutmaßliche Subjekt – im unteren Fünftel des Screens, welches an
4 | Die Entwicklung des GUI im Personal Computing ist ein wichtiger Vorläufer dieser
Entwicklung; vgl. Reimer 2005 für eine Genealogie des GUI.
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Titel
- Algorithmuskulturen
- Untertitel
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Autor
- Robert Seyfert
- Herausgeber
- Jonathan Roberge
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 242
- Schlagwörter
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Kategorie
- Technik