Seite - 70 - in Algorithmuskulturen - Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
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Lucas D.
Introna70
die Argumentation mit der Google auf Beschwerden hinsichtlich der rassisti-
schen und bigotten Vorschläge von Googles Autovervollständigung antwortete
(Potts/Baker 2013).29 In gewisser Hinsicht zielt die Argumentation darauf, dass
auch die Designer von Algorithmen keine originären Subjekte sind, sondern
ebenso durch die Entstehung des soziomateriellen Ganzen hervorgebracht
werden und gleichsam innerhalb der permanenten Choreographisierung von
Handlungsträgerschaft positioniert werden. Freilich, das Hervorbringen von
Subjektpositionierungen fließt in alle Richtungen gleichzeitig.
Die Werbung ist das dominierende Geschäftsmodell des Internets. Die
zentrale These dieses Beitrags lautet, dass die performative Hervorbringung
des beeindruckbaren Subjekts die notwendige Bedingung für das permanente
Entstehen des Internets ist – es ist die grundlegende Logik des soziomateriellen
Ganzen. Als solche setzt sich diese Logik in und mit jeder neuen Innovation
fort. Die Produktion dieses Subjekts wird zunehmend detaillierte Ebenen al-
gorithmisch erzeugten Wissens erfordern, um das Subjekt als ein beeindruck-
bares zu positionieren. Man könnte sagen, es wird eine immer intimere und
detailliertere Choreographie nötig sein, um die Hervorbringung des Subjekts
weiterhin zu ermöglichen. Das würde auch nahelegen, dass der Anreiz zur
Entwicklung intimen Wissens über das Subjekt immer größer werden wird.
Die algorithmische Choreographisierung des beeindruckbaren Subjekts hat
gerade erst begonnen; es sei denn, man ginge von einem sehr unwahrschein-
lichen grundlegenden Wandel im Geschäftsmodells des Internets aus. In der
obigen Erörterung haben wir die Choreographie der Ströme und Zirkulation
von Handlungsträgerschaft hauptsächlich entlang der algorithmischen Hand-
lungsträgerschaft verfolgt. Innerhalb der Choreographie des beeindruckbaren
Subjekts zirkulieren jedoch zahlreiche andere Handlungsträgerschaften, die
sich überlappen, decken, korrespondieren etc. In dieser Zirkulation werden In-
tentionen, Identitäten und Positionen stetig übersetzt und verschoben, sodass
kein einzelner Choreograph als maß- und taktgebender hervortreten kann –
weder die Algorithmen, noch die Subjekte, nicht die Werber und auch nicht die
Werbeagenturen. Darüber hinaus fließt die Performativität in alle Richtungen,
sie produziert Ströme und Subjekt/Objekt-Positionierungen (wie Adblocker,
Obfuskatoren, Clickbots, usf.). Vor allem aber gilt es hervorzuheben, dass das
Subjekt in dieser Choreographie keine ›Marionette‹ ist. Derlei Hervorbringun-
gen wären nicht möglich gewesen, wenn die Subjekte nicht als geneigte und
produktive Partizipanten an dieser performativen Choreographie teilgenom-
29 | Aus Googles Hilfe-Funktion: »Die automatischen Vervollständigungen werden
ohne jegliche menschliche Einflussnahme algorithmisch generiert. Sie basieren auf
einer Reihe objektiver Faktoren, einschließlich davon, wie Nutzer einen Begriff gesucht
haben.« https://support.google.com/websearch/answer/106230?hl=en (zuletzt ab-
gerufen am 2016).
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Titel
- Algorithmuskulturen
- Untertitel
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Autor
- Robert Seyfert
- Herausgeber
- Jonathan Roberge
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 242
- Schlagwörter
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Kategorie
- Technik