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4. Die Online-Stimmen von Verbrauchern in Form bringen 111
seinen Nutzern, sich mittels einer Kombination aus einem Rating-System und
einer frei verfassten Rezension auszudrücken (Beauvisage u.a. 2013). Rezensio-
nen und Ratings findet man auf den meisten Internethandelsseiten und auch
auf Webseiten, die sich explizit der Bewertung von Gütern und Dienstleistun-
gen durch Konsumenten widmen. Im Bereich des Tourismus sammelt bei-
spielsweise TripAdvisor Rezensionen und Meinungen zu Hotels und Restau-
rants weltweit und hatte 2015 schätzungsweise 25 Millionen einzelne Besucher
pro Monat in den USA und etwa die gleiche Anzahl in Europa. Derartige Seiten
gibt es für eine große Bandbreite an Märkten; für Geschäfte und lokale Dienst-
leistungen (Yelp, 83 Millionen Einzelbesucher in den USA 2015), Restaurants
(Zagat, Urban Spoon, LaFourchette), Waren (Ciao) und so weiter.
Eine Menge übereinstimmender Daten beweisen, dass Online-Rezen-
sionen und Ratings immer stärker in die alltäglichen Konsumpraktiken von
Internetnutzern Eingang finden. Unsere Studie einer repräsentativen Stich-
probe von französischen Internetnutzern zeigt, dass 87 % auf Rezensionen
achten, während 89 % angeben, sie fänden sie hilfreich. 72 % haben selbst
schon eine Rezension geschrieben oder eine Bewertung abgegeben und 18 %
gaben an, dass sie dies öfter täten (Beauvisage/Beuscart 2015; siehe auch weiter
unten »Methodik der Studie zu LaFourchette«). Obwohl es wahrscheinlich eine
Tendenz zum ›Overreporting‹ gibt, also eine Tendenz, die eigene Nutzung zu
überschätzen, zeigt das stetige Anwachsen positiver Reaktionen auf solche Fra-
gen, dass die Praxis immer populärer wird. Einen weiteren Hinweis geben die
Auswirkungen von Bewertungen, die von ökonometrischen Untersuchungen
zum Einfluss von Online-Rezensionen auf Verkaufszahlen gemessen werden:
hier wurden durchgängig positive Effekte auf den Umsatz von Büchern (Che-
valier/Mayzlin 2006), Kinokarten (Liu 2006) und Restaurants (Luca 2011) be-
obachtet.
Diese Ausbreitung von Bewertungswebseiten kann man auf zweierlei Wei-
se als Teil der jüngsten Demokratisierung von Bewertung verstehen (Mellet
u.a. 2014). Zum einen erweitern solche Seiten den Anwendungsbereich auf
bewertbare Güter und Dienstleistungen und damit auch die Anzahl und Art
von erreichten Konsumenten beträchtlich. Zum Beispiel listet im Bereich der
Restaurants auf dem französischen Markt der Guide Michelin etwa 4.000
Restaurants auf, die meisten davon im oberen und exklusiven Marktsegment;
TripAdvisor bietet seinerseits die Bewertung von 32.000 Etablissements an,
wovon 60 % Mahlzeiten für 30€ oder weniger im Angebot haben. Zum ande-
ren erlauben Bewertungswebseiten allen Konsumenten eine Meinungsabgabe
und popularisieren damit einen Prozess, der in den späten 1970er Jahren von
Restaurantführern wie Zagat durch das Verteilen und Sammeln schriftlicher
Fragebögen angestoßen wurde. So hat TripAdvisor bis 2012 von 178.000 unter-
schiedlichen Nutzern 338.000 Restaurantbewertungen in ganz Frankreich ge-
sammelt.
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Titel
- Algorithmuskulturen
- Untertitel
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Autor
- Robert Seyfert
- Herausgeber
- Jonathan Roberge
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 242
- Schlagwörter
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Kategorie
- Technik