Seite - 112 - in Algorithmuskulturen - Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
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Jean-Samuel Beuscart und Kevin
Mellet112
Wissenschaftliche Forschung
Es gibt relativ wenig empirische Forschung über die Menschen, die zu sol-
chen Seiten beitragen, oder welche Bedeutung sie ihren Bewertungsaktivitäten
zumessen. Hier haben Pinch und Kessler (2010) Pionierarbeit geleistet. Ihre
Arbeit zeigte, dass die aktivsten Amazon-Beiträger meist männlich sind, über
eine überdurchschnittliche Bildung verfügen und häufig in Bereichen der Wis-
sensproduktion im weiteren Sinne aktiv sind. Was ihre Motivation betrifft, so
betonen die (mittels Fragebogen) erhobenen Antworten verschiedene Dimen-
sionen: eigene Entwicklungsmöglichkeiten (schriftstellerische Fertigkeiten,
Sachkompetenz), Anerkennung durch andere Mitglieder auf der Seite und die
materiellen und symbolischen Belohnungen, die die Seite selbst anbietet. An-
dere jüngere Studien bestätigten diese Ergebnisse: King u.a. (2014) ordnen in
einem Überblick über Marketingstudien zu diesem Thema Selbstwertgefühl
(Selbststeigerung) und die Suche nach Ankerkennung als die stärksten Moti-
vationen für das Schreiben von OCRs ein. Aus der gleichen Perspektive zeigt
Dupuy-Salle (2014), dass das Thema der Anerkennung stark korreliert mit der
Zugehörigkeit zur elitären Spitze von Beiträgern auf einer Filmkritikseite. Die-
se Ergebnisse gehen zwar alle in die gleiche Richtung, aber sie erfassen nur
eine sehr kleine Minderheit der OCR-Beiträger insgesamt.
Ein zweiter in der gegenwärtigen Forschung vertretener Ansatz konzent-
riert sich eher auf den Inhalt der geschriebenen Rezensionen. Beaudouin und
Pasquier (2014) machten die Beobachtung, dass Online-Filmkritiken zwischen
zwei Polen variieren: Manche Meinungen versuchen sich professionellen Kriti-
ken anzugleichen und einen objektiven und argumentativen Diskurs zu entfal-
ten; für andere ist eher der Ausdruck subjektiven Erlebens charakteristisch, oft
in der Ich-Form geschrieben. Andere Untersuchungen interessieren sich mehr
dafür, wie Schreibende bei der Bewertung von Gütern und Dienstleistungen
ihre eigenen Qualifikationen zur Geltung bringen. Jurafsky u.a. (2014) stellen
fest, dass in etwa einem Viertel aller Online-Bewertungen von Konsumgütern
die Bewertenden ihre eigene Kompetenz zur Schau stellen (z.B. »ich koche oft
Ente«, »ich bin zum zweiten Mal schwanger« usw.). Weitere Forschungsarbei-
ten untersuchen, wie die Qualität von Waren bewertet wird. Cardon (2014)
fand bei der Textanalyse von Bewertungen französischer Hotels auf TripAdvi-
sor einen starken Schwerpunkt auf bestimmten Attributen (z.B. Qualität und
Quantität des Frühstücks) auf Kosten von traditionelleren Kriterien der Touris-
musindustrie. Schließlich kommen einige Studien zu dem Schluss, dass Re-
zensionen generell variieren je nachdem, welche Art von Ware bewertet wird
– typischerweise sind sie für teure Produkte länger (Vásquez 2014) – und oft
in Abhängigkeit vom Rating: Bei Hotels liefern die Rezensionen mehr Fakten,
wenn sie unvorteilhafter ausfallen (Cardon 2014).
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Titel
- Algorithmuskulturen
- Untertitel
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Autor
- Robert Seyfert
- Herausgeber
- Jonathan Roberge
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 242
- Schlagwörter
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Kategorie
- Technik