Seite - 120 - in Algorithmuskulturen - Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
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Jean-Samuel Beuscart und Kevin
Mellet120
ihre Fertigkeiten verbessern, Anerkennung bekommen und materielle oder
symbolische Belohnungen erlangen möchten, sind die Interviewten in unse-
rer Studie mit ihrer Anonymität zufrieden – keiner unternahm Schritte, die
zu seiner Erkennbarkeit geführt hätten – und machen in erster Linie mit, um
zum Gemeinwohl beizutragen. Sie schreiben in der Erwartung, dass ihre Kri-
tiken von einem anderen Mitglied eines sozio-technischen Kollektivs, dessen
Existenz sie für nützlich halten, gelesen werden. Diese Nutzer sind demnach
selbstreflexiver und moralischer als von einem Großteil der wissenschaftlichen
Literatur, speziell aber von den Medien, angenommen.
eine gemeinsame definition einer »guten KritiK«
Das zweite Schlüsselelement dieser Untersuchung, das die oben skizzierte
Gestalt eines selbstreflexiven, zur Gruppe beitragenden Nutzers weiter unter-
stützt, ist die weitverbreitete gemeinsame Definition dessen, was eine gute Kri-
tik ausmacht. Diese Definition zeichnet die Umrisse einer »Bewertungskul-
tur«, die regelmäßige Nutzer der Seite teilen: Repräsentationen und Praktiken,
die sich um die beste Art zu lesen und teilzuhaben, gruppieren.
Das angemessene Format
Die Mehrheit der Nutzer war sich einig, dass die beste Kritik eine kurze Kritik
ist. Im Gegensatz zum Bild von egozentrischen Individuen, die ihre persön-
liche Erfahrung im Detail erzählen, wurde als angemessene Länge für eine
Kritik drei bis fünf Zeilen angegeben: »Sie muss die Sache auf den Punkt brin-
gen« (E1), »eine Synthese geben« (E25) und »zusammenfassen« (E26). »Vier
oder fünf Zeilen höchstens, kein Roman«, sagte E9. Einige, die regelmäßig
Kritiken schreiben, haben den Eindruck, dass ihre Bewertungen mit der Zeit
kürzer geworden sind, nachdem sie die Seite häufiger nutzen. Längere Erklä-
rungen gelten nur als gerechtfertigt, wenn sie einen Punkt betonen, der für
das Haus besonders relevant ist, egal ob positiv oder negativ. Es ist gerecht-
fertigt, wenn »man etwas herausheben möchte, dass einem wirklich gefallen
hat, z.B. auf der Speisekarte« (E1) oder etwas aus dem Umfeld wie etwa »die
Toiletten waren durch und durch vintage, wirklich außergewöhnlich«; desglei-
chen meinen viele, eine Kritik dürfe länger sein, »wenn die Erfahrung wirklich
furchtbar war« (E30). Selbst in solchen Fällen sollten die Ausarbeitungen nur
ein oder zwei zusätzliche Zeilen betragen: »Wenn jetzt jeder anfinge, zehn
Zeilen zu schreiben, wäre es vorbei.« (E27)
Wie bereits erwähnt beruht das Standard-Format für Rezensionen auf den
vorhergehenden Erfahrungen der Nutzer als Leser; was auch typischerweise
für jene gelten soll, die wiederum ihre Meinungen lesen. Auf Restaurantsuche
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Titel
- Algorithmuskulturen
- Untertitel
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Autor
- Robert Seyfert
- Herausgeber
- Jonathan Roberge
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 242
- Schlagwörter
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Kategorie
- Technik