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6. ›Ver-rückt‹ durch einen Algorithmus 165
Dave schlägt vor, eine Reihe von Referenzmessungen zu machen, um die Quelle oder die
Quellen dieser vermutlich sehr frühen Reflexionen zu lokalisieren. Er holt mich zu Hilfe
und weist auf verschiedene Stellen der Apparatur, von der diese zusätzlichen Daten
ausgehen könnten. Er und ich halten an diese Stellen ein Stück gepolsterte Verkleidung,
während Stefan den Testton abspielt. Wir machen mehrere Aufnahmen an verschiede-
nen Stellen, um diese physischen Stellen mit den Stellen auf den visuellen Aufzeich-
nungen zu korrelieren.
Wenn die Physik der Reflexion als Gleichung ausgedrückt werden kann, kann
ein Algorithmus sie imitieren. Um Reflexionen für eine abbildende Dar-
stellung nachzeichnen zu können, entwerfen die Ingenieure ein Modell des
akustischen Raumes, der den Körper umgibt, als Gegenmodell zu dem ver-
kürzten Raum zwischen Ohr und Kopfhörer. In Annäherung an eine akus-
tische Umgebung werden die Experimentalbedingungen von AURA nicht
am Nullsummen-Ideal von Stille gemessen, sondern durch eine visuelle Ab-
bildung aufgezeichneter Reflexionen in graphischen Daten. Indem sie die im
Laufe der Zeit kartographierte Verteilung von Klangwellen studieren und in
den tatsächlichen akustischen Raum innerhalb der AURA-Anordnung rück-
übersetzen, erahnen Dave und Stefan, welche Klänge wünschenswert und wel-
che unerwünscht sind. Wenngleich letztlich unpräzise, hilft AURA dennoch,
sich erstrebenswerten Reflexionen als Beziehungsinformationen anzunähern,
während es letztere als außerhalb des virtuellen akustischen Territoriums be-
findlich herausschneidet.
Anders als Stereo, das Klang zwischen seinen Lautsprechern wie ein Por-
trät ›rahmt‹, nutzt Immersive Audio Reflexionen, um durch das Arrangement
von Klängen eine räumliche Beziehung zu konstruieren. Als fingen sie das
Territorium in einem Globus ein, benutzen die Ingenieure digitale Parameter,
um eine unbegrenzte Menge an Territorien, die auf ähnliche Weise kartogra-
phiert wurden, zu überlagern, und erzeugen so den Eindruck, man lausche
bestimmten Klangbeziehungen, die in einer völlig anderen Umgebung auf-
gefunden wurden, ohne vorher definierte Orientierung und in einzigartiger
Bewegungsfreiheit. Dieses System ist ein Zusammenfluss von Mediationen
– Personalisierung, Desorientierung und Translozierung – von denen in der
Abfolge des Hörens keine Vorrang hat. Stattdessen sind diese Prozesse in den
Algorithmen von Immersive Audio grundsätzlich immer im Gange.
algorithmen und hörbeZiehungen
Sozialstudien von Algorithmen neigen dazu, Code als Strukturregeln heraus-
zustellen, die die Welt als Text montieren – Zahlen, Buchstaben, Symbole.
Auf die Frage, wie diese Regeln im materiellen Sinn Beziehungen herstellen,
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Titel
- Algorithmuskulturen
- Untertitel
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Autor
- Robert Seyfert
- Herausgeber
- Jonathan Roberge
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 242
- Schlagwörter
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Kategorie
- Technik