Seite - 230 - in Algorithmuskulturen - Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
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Oliver
Leistert230
Geschäftsmodelle selbst. Das Vertrauen, das sie angeblich missbrauchen, ist
selbst hochgradig streitbar, da Einsicht in die Berechnungsprozesse, die es
erzeugen, den Benutzern ebenfalls versagt bleibt. Indem solch elementare
menschliche Bedürfnisse und Bedingungen wie Vertrauen an ›Maschinen-
intelligenz‹ delegiert wird, ist es unausweichlich, dass diese Maschinenlogik
selbst ihr Anderes in Form von Bots als Möglichkeit produziert. Bots folgen
damit lediglich dem Trend, den kommerzielle Plattformen zur Perfektion trei-
ben, indem sie die Unterscheidung von Privat und Öffentlich kassiert haben.
Schließlich gilt, dass »algorithmische Technologien dazu neigen, Unter-
schiede der Art in Unterschiede des Grades zu verwandeln [...] oder zur Dis-
tanz eines Datenpunktes zu einem anderen« (Amoore/Piotukh 2015: 361).
Solch eine flache Sozialität, die sich nur noch gradweise differenziert, wird
aufgrund ihrer unbegrenzten Vermögen der Reproduktion und Distribution
unumgänglich nur viel mehr Desselben produzieren können. Indem Bots dy-
namisch ihre simulierten Referenzen wechseln, und nach ihrer Neutralisie-
rung wie eine Hydra in automatisch generierten Profilen wieder erscheinen,
sind Social Bots als erste ›Natives‹ heutiger Umgebungen sozialer Medien zu
verstehen, die sich selbst anhand ihrer einprogrammierten Reproduktionsre-
geln generisch reproduzieren können. Sie zu bannen und einzugrenzen wird
auf lange Sicht wenig Erfolg haben, da die Plattformen selbst die menschli-
chen Subjektivitäten produzieren, die jene Kompatibilität aufweisen, die die
Bots brauchen, um mit ihnen in Kontakt treten zu können. Wer sich von den
Standardisierungen, Zensursystemen, Nutzungsbedingungen, Templates,
algorithmischen Prozessen und Datenbank-basierten Vernetzungen regieren
lässt, hat sich in der Logik der Kontrolle durch Protokolle (Galloway 2004) ein-
gerichtet. Algorithmische Piraten, wie einige Social Bots es sind, haben keine
Probleme, die Anforderungen dieser protokologischen Bedingungen zu be-
dienen und sind deshalb natürlicherweise prädestiniert dazu, aktive Rollen in
solch einer environmentalen Logik der Kontrolle zu bekleiden.
Übersetzt von Moritz Plewa.
literaturVerZeichnis
Amoore, L./Piotukh, V. (2015): »Life beyond Big Data: Governing with Little
Analytics«, Economy and Society 44 (3): S. 341-366.
Anderson, C.W. (2012): »Towards a Sociology of Computational and Algorith-
mic Journalism«, New Media & Society 15 (7), S.
1005-1021.
Andrejevic, M. (2007): »Surveillance in the Digital Enclosure«, The Communi-
cation Review 10 (4), S. 295-317.
Algorithmuskulturen
Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Titel
- Algorithmuskulturen
- Untertitel
- Über die rechnerische Konstruktion der Wirklichkeit
- Autor
- Robert Seyfert
- Herausgeber
- Jonathan Roberge
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3800-8
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 242
- Schlagwörter
- Digitale Kulturen, Medienwissenschaft Kultur, Media studies, Technik, Techniksoziologie, Kultursoziologie, Neue technologien, sociology of technology, new technologies, Algorithmus
- Kategorie
- Technik