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ALJ 1/2015 Eigentumsschutz und Verkehrsschutz bei Kunstgegenständen 7
Dieser Unterwerfungsgedanke überzeugt wegen seiner zu fiktiven subjektiven Grundlage im
Willen des einzelnen nicht mehr vollständig. Heute wird die lex rei sitae zu Recht eher aus objekti-
ven Erwägungen heraus begründet, die vom (vermuteten oder wirklichen) Willen der Rechtsun-
terworfenen abstrahieren.15 Im Vordergrund stehen neben dem Grundsatz der absoluten Geltung
des Sachenrechts16 auch die Verkehrsinteressen17: Rechtssicherheit wird durch die Geltung der
lex rei sitae nicht nur für Erwerber und Veräußerer, sondern auch für alle beobachtenden Dritten
geschaffen.18 Zudem berücksichtigt die lex rei sitae die Territorialhoheit des Staates, der über die
eigentumsrechtliche Güterzuordnung auf seinem Gebiet entscheidet.19
2. Die „lex originis“ als Sonderanknüpfung bei Kunstgegenständen?
Gerade bei Kunstgegenständen sind in der Literatur verschiedene Aufweichungen des lex rei
sitae-Grundsatzes vorgeschlagen und diskutiert worden.20 Eine Hauptrichtung zeichnet sich dabei
dadurch aus, dass sie den Abstraktionsgrad des Kollisionsrechts zugunsten einer stärkeren Kon-
kretisierung der spezifischen Lebenssachverhalte zurücknimmt21: Es geht in dieser vielleicht als
postmodern22 charakterisierbaren Strömung darum, den besonderen Charakter von Kunstge-
genständen im Kollisionsrecht widerzuspiegeln.23 Dabei bietet die besondere Eigenart von Kunst-
gegenständen einen plausiblen Ausgangspunkt: Wir betrachten Kunstgegenstände als kategorial
verschieden von bloßen Gebrauchsgegenständen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Ein Aspekt
ist für die sachenrechtliche Anknüpfung besonders bedeutsam: Menschen einer bestimmten
Nation verbinden mit manchen Kunstwerken gemeinsame Erzählungen – etwa geschichtlicher,
wirtschaftlicher oder kultureller Art. Wenn es also so etwas wie eine „Identität einer Nation“ gibt,
15 Dazu eingehend Goldt, Sachenrechtliche Fragen des grenzüberschreitenden Versendungskaufs aus international-
privatrechtlicher Sicht (2002) 58 ff.
16 Dieser Gedanke klingt etwa bei Kreuzer an, vgl Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internatio-
nalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und
Sachen vom 21. 5. 1999, RabelsZ 2001, 383 (443).
17 Wendehorst in Rixecker/Säcker/Oetker (Hrsg), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch XI6 (2015) Art 43
EGBGB Rz 4.
18 Etwa Kreuzer, RabelsZ 2001, 443.
19 Differenzierend dazu Damm in Hoeren/Holznagel/Ernstschneider 252 ff (insbesondere 257).
20 Damm in Hoeren/Holznagel/Ernstschneider 248 ff; Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von
Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, 3581 (zu Kulturgütern); siehe auch Hanisch, Internationalprivatrechtliche
Fragen im Kunsthandel, in FS Müller-Freienfels (1986) 193; Wiese in FS Siehr 83; Kunze, Restitution „Entarteter
Kunst“ (2000) 121; Schack, Kunst und Recht2 Rz 523 ff; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum
Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, 268 (270 f); Mansel in Staudinger (Hrsg), Kommentar zum BGB (2015)
Art 46 EGBGB Rn 77 ff. (Anknüpfung an das Recht des Diebstahlsorts für die Frage des gutgläubigen Erwerbs); vgl
auch Stoll, Sachenrechtliche Fragen des internationalen Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in
Dolzer/ Jayme/Mußgnug (Hrsg), Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes (1994) 53.
21 Besonders eindrucksvoll ist diese Anknüpfung von Jayme vertreten worden, vgl ua Jayme, Die Nationalität des
Kunstwerks als Rechtsfrage, in Reichelt (Hrsg), Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Okto-
ber 1990 (1992) 7; ders, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in Dominicé
ua (Hrsg), Études de Droit International en l’honneur de Pierre Lalive (1993) 717 (718 ff); ders, Entartete Kunst
21 ff; ders, Internationaler Kulturgüterschutz: Lex originis oder lex rei sitae – Tagung in Heidelberg, IPRax 1990,
347; siehe auch Anton, Handbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht III: Internationales Kulturgüter-
privat- und -zivilverfahrensrecht (2010) 803 ff; Damm in Hoeren/Holznagel/Ernstschneider 258 ff.
22 Zum Verhältnis der Postmoderne zum Internationalen Privatrecht Jayme, Internationales Privatrecht und post-
moderne Kultur, ZfRV 1997, 230. Die Wurzeln dieser Strömung liegen freilich viel weiter zurück, vgl Damm in
Hoeren/Holznagel/Ernstschneider 263; Jayme, Entartete Kunst 22.
23 Damm in Hoeren/Holznagel/Ernstschneider 258 ff.
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Austrian Law Journal
Band 1/2015
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2015
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 188
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal