Seite - 9 - in Austrian Law Journal, Band 1/2015
Bild der Seite - 9 -
Text der Seite - 9 -
ALJ 1/2015 Eigentumsschutz und Verkehrsschutz bei Kunstgegenständen 9
Gerechtigkeit des konkreten materiell-rechtlichen Anwendungsergebnisses, letztlich also um
einen better law approach.35 Mit Blick auf viele Einzelfälle mag dessen Flexibilität attraktiv erschei-
nen. Als Grundprinzip des Kollisionsrechts führt er aber leicht zu Beliebigkeit. Daher scheint es
vorzugswürdig, an der herkömmlichen kontinentaleuropäischen Idee des Kollisionsrechts festzu-
halten: Das Kollisionsrecht soll den konkreten Ergebnissen gegenüber grundsätzlich Neutralität
bewahren.36 Dazu kommt, dass die Anknüpfung an die lex originis mit großer Unsicherheit einher-
gehen kann.37 Das betrifft bereits den Begriff des Kunstgegenstandes. Hier ließe sich nur eine
unzureichende Linderung erreichen, indem nur Kulturgüter einer Sonderanknüpfung unterwor-
fen werden würden, die in einem staatlichen Publikationsakt als zum nationalen Kulturerbe zu-
gehörig bezeichnet sind.38 Auch über die jeweilige Nation, der ein Kunstwerk zugeordnet werden
soll, mag man in manchen Fällen trefflich streiten – unter anderem mit Blick auf den jeweiligen
Entstehungsort, die Nationalität des Künstlers, die Motive oder die religiösen und kulturellen
Bezüge des Werkes.39 Natürlich können Abgrenzungsschwierigkeiten im Internationalen Privat-
recht auch an anderen Stellen nicht vermieden werden. Gerade im Internationalen Sachenrecht
besteht jedoch ein besonderes Bedürfnis nach Rechtssicherheit. Dieses Bedürfnis und die Inte-
ressen des Rechtsverkehrs wären empfindlich verletzt, wenn eine abweichende Anknüpfung
ohne ausreichende gesetzliche Grundlage in das österreichische Kollisionsrecht eingeführt wer-
den würde.40 Das österreichische IPRG bietet eine solche Grundlage kaum. Es müsste ja eine von
§ 31 Abs 1 IPRG abweichende Anknüpfung ermöglichen, die allenfalls im Wege der Rechtsfortbil-
dung zu erreichen wäre. Das IPRG kennt keine allgemeine Ausweichklausel; § 1 Abs 1 IPRG bringt
zwar als Leitmotiv des Kollisionsrechts die „Suche nach dem Sitz des Rechtsverhältnisses“ klar
zum Ausdruck. Zugleich verbietet aber § 1 Abs 2 IPRG eine freie Suche nach diesem Sitz und
schreibt vielmehr – auch demokratietheoretisch plausibel – dem Gesetzgeber den Vorrang bei
der Bestimmung dieses Sitzes zu.41 Nach dem Willen des historischen Gesetzgebers sollte damit
die richterrechtliche Korrektur einzelner Kollisionsnormen durch das Leitprinzip ausgeschlossen
werden.42 Der OGH hat an dieser allzu starren Linie zwar nicht streng festgehalten, einzelne Kolli-
sionsnormen richterrechtlich korrigiert und § 1 Abs 1 IPRG auch als Instrument der Lückenfüllung
eingesetzt.43 Er bezeichnet jedoch § 1 Abs 1 IPRG in stRsp eben nur als Instrument der Auslegung
und Lückenfüllung – und damit gerade nicht als echte Ausweichklausel.44 Auch die österreichi-
sche Lehre versteht § 1 Abs 1 IPRG nicht als Ausweichklausel45 und nimmt das Abweichungsver-
35 Anton, Internationales Kulturgüterprivat- und -zivilverfahrensrecht 921 ff mwN; Schack, Kunst und Recht2 Rz 525.
36 Dazu allgemein nur Kropholler, Internationales Privatrecht6 (2006) 24 ff.
37 Wiese in FS Siehr 84 f; Hartung, Kunstraub 362 f; Schack, Kunst und Recht2 Rz 523 ff, 542 ff.
38 Anton, Internationales Kulturgüterprivat- und -zivilverfahrensrecht 927 f.
39 Zu diesen Indizien anschaulich Jayme in Dominicé ua 724 ff. Man könnte auch ein Ausstellungsland für maßgeb-
lich halten wollen, in dem sich ein Kunstwerk lange Zeit befindet (also etwa französisches Recht auf die in Frank-
reich ausgestellte „Mona Lisa“ anwenden wollen).
40 Zur Ablehnung einer Anknüpfung an die lex originis aus Gründen der Rechtssicherheit und des Verkehrsinteresses
Wiese in FS Siehr 83 (insbesondere 84 f sowie 99 f); Schack, Kunst und Recht2 Rz 524 f.
41 Neumayr in Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger (Hrsg), Kurzkommentar zum ABGB4 (2014) § 1 IPRG Rz 4; Verschraegen in
Rummel, ABGB II/63 § 1 IPRG Rz 5.
42 ErlRV 784 BlgNR 14. GP 10 f.
43 Grundlegend zur richterrechtlichen Korrektur kollisionsrechtlicher Tatbestände OGH 3 Ob 549/94 JBl 1995, 116;
zur Lückenfüllung auf Grundlage des § 1 Abs 1 IPRG vgl OGH 4 Ob 512/93 ZfRV 1994, 32; relativ weitgehend OGH 1
Ob 253/97f SZ 71/76 = ZfRV 1998, 259 = RdW 1998, 551.
44 Aus jüngerer Zeit etwa OGH 3 Ob 240/13k Zak 2014/129; 3 Ob 183/13b JBl 2014, 56. Teils ist auch von einem
programmatischen Grundsatz die Rede, s etwa OGH 1 Ob 2/03f ZfRV-LS 2003/53.
45 Neumayr in KBB4 § 1 IPRG Rz 4; Verschraegen in Rummel, ABGB II/63 § 1 IPRG Rz 5; Lurger/Melcher, IPR Rz 1/57 f;
Schwimann, Internationales Privatrecht einschließlich Europarecht3 (2001) 29; Schwind, Internationales Privatrecht
(1990) Rz 145; Neumayr in KBB4 § 1 IPRG Rz 4; Verschraegen in Rummel, ABGB II/63 § 1 IPRG Rz 5.
zurück zum
Buch Austrian Law Journal, Band 1/2015"
Austrian Law Journal
Band 1/2015
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2015
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 188
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal