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ALJ 1/2015 Stefan Arnold 18
Natürlich können viele weitere Elemente für die Frage nach den Nachforschungsobliegenheiten
relevant werden. § 368 Abs 2 ABGB ermöglicht in seiner Offenheit deren Integration und schafft
so eine vorbildliche dogmatische Grundlage für einen flexiblen und sachgerechten Ausgleich von
Eigentumsschutz und Verkehrsschutz auch bei Kunstgegenständen. Nachforschungsobliegenhei-
ten sind auch nicht etwa aus Verkehrsschutzgründen unzumutbar. Sie lassen sich zum einen
damit rechtfertigen, dass es auch um die Lauterkeit des österreichischen Kunsthandels und die
Bekämpfung des Kunst-Schwarzmarkts geht. Dazu tritt die kulturelle Einmaligkeit von Kunstge-
genständen. Diese Besonderheiten rechtfertigen es, den Verkehrsschutz etwas schwächer zu
gewichten: Der Vorzug des Eigentumsschutzes wird in vielen Fällen auch das Interesse an der
Sichtbarkeit des Kunstwerks im Allgemeininteresse eher befriedigen. Zudem ist die Erfüllung
potentieller Nachforschungsobliegenheiten heute keine unüberwindbare Hürde: Viele gestohlene
Kunstgegenstände sind mittlerweile auf gut bekannten und auch zugänglichen Datenbanken und
Registern verzeichnet – etwa auf dem „art-loss-register“.105
Wurde eine Nachforschungsobliegenheit verletzt, sollte der gutgläubige Erwerb auch dann ver-
neint werden, wenn die Nachforschung nichts Anrüchiges ergeben hätte.106 Dafür spricht jeden-
falls beim Erwerb von Kunstgegenständen die potentiell verhaltenssteuernde Wirkung dieses
Ergebnisses107: Es könnte, wenn es in den beteiligten Verkehrskreisen bekannt wird, zu verstärk-
ter Provenienzerforschung im Kunsthandel führen. Das Sachenrecht könnte so vielleicht dazu
beitragen, hohe Standards im Kunsthandel zu etablieren und den illegalen Kunsthandel zu be-
kämpfen.
E. Gutgläubiger Erwerb bei gestohlenen Kunstgegenständen
Das ABGB ermöglicht auch den gutgläubigen Erwerb von gestohlenen Kunstgegenständen. Der
Erwerb vom Vertrauensmann gem § 367 Alt 3 ABGB scheidet zwar aus; denkbar ist der Erwerb
gestohlener Kunstgegenstände aber in den ersten beiden Alternativen des § 367 ABGB, also bei
öffentlichen Versteigerungen sowie beim Erwerb vom Unternehmer. Dass auch bei gestohlenen
Kunstgegenständen gutgläubig erworben werden kann, trifft den ursprünglichen Eigentümer
besonders hart. Das liegt zum einen daran, dass er den Erwerb nicht beeinflussen konnte – wie
etwa durch die Auswahl der Vertrauensperson iSd § 367 Alt 3 ABGB. Zum anderen ergibt sich die
besondere Härte für den Eigentümer daraus, dass er den Dieb in vielen Fällen nicht belangen
können wird. Diebe sind oft geschickt und lassen sich weder auffinden noch in Haftung nehmen.
Dieser Hintergrund führt zu der Frage nach der normativen Rechtfertigung für die Wertung des
ABGB, die dem Verkehrsschutz gegenüber dem Eigentumsschutz selbst bei gestohlenen Gegen-
ständen Vorrang einräumt, wenn der Erwerb in öffentlicher Versteigerung oder aber vom Unter-
nehmer stattfindet.
Bei der Versteigerung lässt sich diese rechtspolitische Entscheidung des österreichischen Sachen-
rechts mit dem Bedürfnis erklären, öffentliche Versteigerungen problemlos, zügig und wirtschaft-
105 Wiegand in Staudinger (Hrsg), Kommentar zum BGB III/2 (2011) § 932 BGB Rz 132 f; Schack, Kunst und Recht2
Rz 527, 531; Anton, JR 2010, 419.
106 Ebenso Karner, Gutgläubiger Mobiliarerwerb 413; und Bollenberger, Veräußerung von Vorbehaltsgut, ÖJZ 1995,
641 (646); aA Holzner in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.01 § 368 Rz 5; Leupold in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang ³
§ 368 Rz 9 (Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens); Iro, Sachenrecht5 Rz 6/50.
107 Zur Verhaltenssteuerung als Aufgabe des Privatrechts S. Arnold, Vertrag und Verteilung 158, 391 ff.
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Austrian Law Journal
Band 1/2015
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2015
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 188
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal