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ALJ 1/2015 Völker- und europarechtliche Fragen des Beitritts Österreichs 131
In den österreichischen Bundesministerien, insbesondere im Außenministerium und im Bundes-
kanzleramt, fanden laufend knapp vor und während der Beitrittsverhandlungen Diskussionen
über alle möglichen politischen Konstellationen statt, die neutralitätsrelevant hätten sein kön-
nen.18 Die EU war aber von der österreichischen Position, die sich besonders auf die Art 223 und
224 EWGV stützte, nicht besonders überzeugt. Das Avis préliminaire der Kommission hatte schon
die extensive österreichische Interpretation der Art 223 und 224 EWGV zurückgewiesen und
gleichzeitig festgestellt, dass Österreich als Mitglied der Union in der Lage sein müsse, „die mit
der künftigen Außen- und Sicherheitspolitik einhergehenden Verpflichtungen zu übernehmen“19.
Infolge des Inkrafttretens des Maastrichter Vertrags am 1. November 1993 musste Österreich
einerseits seine drei Beitrittsansuchen nunmehr in ein einziges zur Union umwandeln, anderer-
seits wurde das Problem der Neutralität immer akuter. Schließlich begann sich die EU im ehema-
ligen Jugoslawien zu engagieren, wie etwa durch die Übernahme der Verwaltung Mostars. Ange-
sichts dieser Entwicklung formulierte die Bundesregierung drei Kernelemente der Neutralität: die
Nichtteilnahme am Krieg, das Verbot der Teilnahme an Militärallianzen und das Verbot von aus-
ländischen Militärstützpunkten in Österreich.20 Auf diese Weise war die rechtliche Möglichkeit
gesichert, an der GASP teilzunehmen.
Diese Entwicklung kann aber nicht isoliert und allein auf den Beitritt zur EU fixiert gesehen wer-
den. Die internationale Stellung Österreichs zu Beginn der 1990er Jahre war schon von der Betei-
ligung an den Maßnahmen der Vereinten Nationen (UN) auf dem Balkan beeinflusst, zumindest
durch die Durchfahrtsrechte für NATO-Truppen21, die österreichische Mitgliedschaft im Sicher-
heitsrat 1991–1992 sowie die Beteiligung am „Partnership for Peace“-Programm der NATO.22 Alle
diese Ereignisse ließen ein umfassendes Neutralitätsverständnis in den Hintergrund treten.
Demgegenüber forderte aber die EU von Österreich und den anderen Kandidatenstaaten die
Zusage, das bisher in der EPZ erreichte acquis politique zu akzeptieren und zuzusichern, im Mo-
ment des Beitritts rechtlich in der Lage zu sein, die GASP voll und ganz mitzutragen. Die Kandida-
tenstaaten gaben diese Zusicherung in der Erklärung (Nr 1) ab, die in die Schlussakte zum Bei-
trittsvertrag aufgenommen wurde.23
Die weitere Haltung Österreichs zum Verhältnis von Neutralität und GASP variierte. Die Erläute-
rungen zur Erklärung (Nr 1) stellen fest, dass „zwischen den Verpflichtungen eines EU-Mitglied-
staates und den Kernelementen der Neutralität kein Widerspruch“ bestünde.24 Nichtsdestotrotz
erließ Österreich Art 23f B-VG25 mit der Absicht, die Beteiligung an der GASP – unbeschadet des
18 Vgl Scheich, Tabubruch 65 ff.
19 Text in BMaA (Hrsg), Österreichische Außenpolitische Dokumentation. Sonderdruck. Stellungnahme der Europäi-
schen Kommission zum Beitrittsantrag Österreichs (ohne Datum) 28 ff; vgl Mitteilung der Kommission, Zurück-
ziehung von überholten Vorschlägen der Kommission, ABl L 1993/293, 61.
20 Diese Formulierung wurde als Runderlass an alle österreichischen Vertretungsbehörden versandt; abgedruckt
bei Scheich, Tabubruch 79.
21 BGBl 1995/869.
22 BMaA (Hrsg), Jahrbuch der österreichischen Außenpolitik. Außenpolitischer Bericht (1995) 51 f.
23 Gemeinsame Erklärung zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, ABl C 1994/241, 381.
24 RV 11 BlgNR 19. GP 430.
25 Art 23f B-VG lautete: „(1) Österreich wirkt an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen
Union auf Grund des Titels V des Vertrages über die Europäische Union mit. Dies schließt die Mitwirkung an
Maßnahmen ein, mit denen die Wirtschaftsbeziehungen zu einem oder mehreren dritten Ländern ausgesetzt,
eingeschränkt oder vollständig eingestellt werden. (2) Für Beschlüsse im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik der Europäischen Union auf Grund des Titels V sowie für Beschlüsse im Rahmen der Zusam-
menarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres auf Grund des Titels VI des Vertrages über die Europäische Union
gilt Art. 23e Abs. 2 bis 5, BGBl. Nr. 1013/1 994.“
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Austrian Law Journal
Band 1/2015
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2015
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 188
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal