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ALJ 1/2015 Völker- und europarechtliche Fragen des Beitritts Österreichs 139
Besondere Probleme boten und bieten aber die Versuche, sektorale Fahrverbote einzurichten,
was auch den EuGH beschäftigte, der in einer ersten Entscheidung Österreich vorwarf, ver-
säumt zu haben, gelindere Mittel zum Schutz des Grundrechts auf Achtung des Privat- und
Familienlebens und aus zwingenden Gründen des Umweltschutzes untersucht und angewen-
det zu haben.76 Nichtsdestotrotz hat Tirol wieder sektorale Fahrbeschränkungen hinsichtlich
des Transports von bestimmten Gütern, des LKW-Nachtfahrverbots sowie des Einsatzes schad-
stoffreicher Schwerfahrzeuge wie auch eine bestimmte allgemeine Geschwindigkeitsbegren-
zung eingeführt.77 Es wird sich zeigen müssen, wieweit die Union die besondere Situation Tirols,
den Bedarf des Umweltschutzes und des Schutzes der Bevölkerung entsprechend würdigen
wird.
D. Atomenergie
Die österreichische Bevölkerung reagierte schon immer sensibel auf die Frage der Verwendung
der Atomenergie; das berühmte Referendum unter Bundeskanzler Kreisky 1978 betreffend
Zwentendorf resultierte im Bundesgesetz über das Verbot der Nutzung der Kernspaltung für
die Energieversorgung in Österreich.78 Als Österreich im Jahre 1989 seinen Antrag zum Beitritt
zur EU, genau genommen zu den drei einzelnen Gemeinschaften EGKS, EWG und EAG (Euratom)
stellte, wurde auch angeregt, der EAG nicht beizutreten. Es wurde befürchtet, dass Österreich
in der EAG seine atomablehnende Politik nicht weiterführen könnte. Mit dem Maastrichter
Vertrag erübrigte sich jedoch diese Diskussion, als Österreich nach dessen Inkrafttreten seine
drei Beitrittsanträge auf einen zur Union, innerhalb der die EAG Bestandteil des ersten Pfeilers
bildete, reduzieren musste.
In der Erklärung Nr 4 zum Beitrittsvertrag anerkannten aber die Vertragsparteien, dass die
Entscheidung über die Erzeugung von Kernenergie den MS entsprechend ihrer eigenen politi-
schen Ausrichtung überlassen bleibe. Gemäß den Erläuterungen garantiert diese Erklärung,
dass das Atomsperrgesetz unangetastet bleiben werde und Österreich nicht dazu verpflichtet
werden könne, Atomkraftwerke auf seinem Gebiet zu errichten, deren Errichtung zuzulassen
oder radioaktive Abfälle aus dem Ausland zu übernehmen.79
In weiterer Folge erging 1999 das Verfassungsgesetz für ein atomfreies Österreich und die
österreichische Antinuklearpolitik erhielt durch den Verzicht auch anderer EU-MS auf die nuklea-
re Energieerzeugung beträchtlichen Aufwind.
Doch konnte Österreich nicht die weitere Verwendung und sogar den Ausbau von Kernkraft-
werken (KKWs) in seinen Nachbarstaaten verhindern, was in der Auseinandersetzung um das
KKW Temelin in der Tschechischen Republik gipfelte. Noch vor dem Beitritt dieses Staates zur
EU war es aber gelungen, mit ihm ein Abkommen über Sicherheitsstandards und ein Informa-
tionssystem, nicht zuletzt mithilfe der EU, abzuschließen, das auch EU-Kommissar Verheugen
76 EuGH 21. 12. 2011, C-28/09, Kommission/Österreich.
77 Siehe LKW Fahrverbote – A12 Inntalautobahn (Tirol), https://www.wko.at/Content.Node/Service/Verkehr-und-
Betriebsstandort/Verkehr-allgemein/Verkehrsrecht/LKW_Fahrverbote_-_A12_Inntalautobahn_(Tirol).html (abgefragt
am 13. 3. 2015).
78 BGBl 1978/676.
79 RV 11 BlgNR 16. GP 432.
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Austrian Law Journal
Band 1/2015
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2015
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 188
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal