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ALJ 1/2015 Stefan Börger 150
Österreich hat, wie beschrieben, 185 Maßnahmen als Umsetzung notifiziert und ist im Vertrags-
verletzungsverfahren der Ansicht, damit sei die Richtlinie vollständig umgesetzt. Wenn der Ge-
richtshof zur Ansicht gelangt, dass die Richtlinie möglicherweise nicht richtig umgesetzt sei, müs-
se dies mit einem eigenen Bußgeldverfahren gemäß Art 260 Abs 1 AEUV behandelt werden. Die
Kommission wendete in ihrer Klage allerdings Art 260 Abs 3 AEUV an und hat mit der Klage bereits
ein Bußgeld beantragt.
Es gibt zu dieser Frage erst seit Kurzem eine umfangreiche Stellungnahme von Generalanwalt
Wathelet 28; interessanterweise geht es auch dabei inhaltlich um die Richtlinie 2009/28/EG, die
insgesamt zu Schwierigkeiten in der Umsetzung führt – gegen 19 Mitgliedstaaten wurde ein Ver-
tragsverletzungsverfahren eingeleitet.
Der Generalanwalt verweist einerseits explizit auf die Genese der Bestimmung, die eindeutig
dahingeht, dass tatsächlich von der Nichtumsetzung eine Schlechtumsetzung („vollständige Um-
setzung“ bzw „ordnungsgemäße Umsetzung“) zu unterscheiden ist. Meinungsverschiedenheiten
darüber, ob die mitgeteilten Umsetzungsmaßnahmen ausreichend sind, seien in einem regulären
Vertragsverletzungsverfahren auszutragen. Das übernimmt sinngemäß auch die Kommission in
ihrer Mitteilung zu Art 260 Abs 3 AEUV.
Der Generalanwalt stellt dann jedoch den Zweck der Vorschrift in den Vordergrund. Dieser ließe
sich zu leicht von den Mitgliedstaaten umgehen, indem man Umsetzungen melde, und kommt so
letztendlich zum Ergebnis, die Trennung in Nichtumsetzung und Schlechtumsetzung sei eigent-
lich irrelevant. Bei der Inanspruchnahme von Art 260 Abs 3 AEUV müsse man eine inhaltliche
Prüfung vornehmen, wenn nicht tatsächlich offenkundig nicht gemeldet wurde. Art 260 Abs 3
AEUV berechtige daher die Kommission, vor dem Gerichtshof ein Bußgeld zu beantragen, wenn
es „eine unvollständige oder nicht ordnungsgemäße Umsetzung“ der Richtlinie sei. Schließlich, so
der Generalanwalt weiter, könne der Gerichtshof diese Umstände in der Frage berücksichtigen,
ob und in welcher Höhe er ein Bußgeld festlegt.
Im Ergebnis sieht der Generalanwalt – im Gegensatz zum Wortlaut der Bestimmung sowie der
Kommissionsmitteilung29 – eine Trennung zwischen Nichtumsetzung und Schlechtumsetzung als
überflüssig an. Anzumerken ist dabei, dass die Bestimmung des Art 260 AEUV bzw dessen Vor-
gängerregelung ja bereits in der Vergangenheit durch eine besonders dynamische Auslegung des
Gerichtshofs unter maximaler Ausdehnung des Wortlauts aufgefallen ist.30
Eine zweite Problematik in diesem Zusammenhang ist die Vorgangsweise in Art 12 B-VG-
Materien, die vor dem Hintergrund von Richtlinienumsetzungen ganz besonders unzweckmäßig
sind, hat doch der „letzte Gesetzgeber“ gleich zwei umzusetzende bzw auszuführende Vorgaben,
die den Rahmen bilden.
Klar ist, dass eine Richtlinie nicht durch ein Grundsatzgesetz, sondern erst durch die Ausfüh-
rungsgesetzgebung umgesetzt wird, da nur diese außenwirksam und vollzugstauglich ist. Die
28 Schlussanträge (EuGH) 11. 12. 2014, C‑320/13.
29 ISd Kommissionsmitteilung argumentieren auch Posch/Riedl in Mayer/Stöger (Hrsg) EUV/AEUV, Art 260 (2013)
Rz 99; Hummer, Finanzielle Sanktionen gegen Mitgliedstaaten bei Nichterfüllung von EuGH-Urteilen, in Hummer
(Hrsg), Neueste Entwicklungen im Zusammenspiel von Europarecht und nationalem Recht der Mitgliedstaaten
(2010) 553 (607); Karpenstein in Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg), Art 260 AEUV (2013) Rz 62.
30 Vgl das Urteil EuGH 12. 7. 2005, C-304/02 zur – dem Wortlaut der Bestimmung widersprechenden – Kumulier-
barkeit von Pauschalbetrag und Zwangsgeld.
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Austrian Law Journal
Band 1/2015
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2015
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 188
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal