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ALJ 1/2015 Die Durchführung von Unionsrecht 151
Praxis zeigt nun, dass der Bund mitunter die Umsetzungsfrist zu großen Teilen oder darüber
hinaus für die Grundsatzgesetzgebung in Anspruch nimmt, sodass für die Ausführungsgesetzge-
bung wenig Zeit verbleibt. Die Länder könnten den grundsatzfreien Raum zwar richtlinienkon-
form ausfüllen, was aber oft unzweckmäßig ist, da der Bund das Grundsatzgesetz im Nachhinein
in einer Weise beschließen kann, die dem Ausführungsgesetz widerspricht. Wenn die Grundsätze
richtlinienwidrig sind, wird die Problematik noch deutlicher. Die Länder haben nun kürzlich dazu
ihre Position gegenüber dem Bund geäußert, die eine Frist von zumindest 6 Monaten für die
Länder nach der Grundsatzgesetzgebung einräumt; ein etwaiger Bußgeldausspruch innerhalb
dieser Zeit sei daher noch dem Bund zuzurechnen. Diese 6 Monate beruhen auf Art 15 Abs 6 B-VG,
wonach das Bundesgesetz eine Frist für den Erlass der Ausführungsgesetzgebung einräumen
darf; diese darf ohne Zustimmung des Bundesrates nicht kürzer als 6 Monate sein.
5. Zwischenergebnis
Das föderale System bedingt zweifellos ein höheres Maß an Koordination. Österreich hat jedoch
ein grundsätzlich gut funktionierendes System der Abstimmung der Länder untereinander bzw
des Bundes mit den Ländern.
Zunehmender Druck entsteht eher durch Aktivitäten der EU, Vertragsverletzungsverfahren und
insbesondere finanzielle Maßnahmen iSd Art 260 AEUV zu verschärfen.
Eine – durchaus nicht immer unvorteilhafte – Folge davon ist, dass ein Mechanismus der gleich-
förmigen Umsetzung eintritt. Die Länder gehen gerade in komplexen Materien, die stark EU-
rechtlich determiniert sind, immer öfter dazu über, gemeinsame Grundsätze oder gleich fertige
Gesetzesentwürfe zu schaffen. Beispiele hierfür sind die Tierzuchtgesetze der Länder, zu denen
eine Arbeitsgruppe ein Mustergesetz erarbeitet hat. Andere Fälle der jüngeren Vergangenheit
waren die EVTZ-Anwendungsgesetze oder die Umweltinformationsgesetze der Länder.
IV. Anwendung von Unionsrecht in einem föderalen Rahmen
A. Allgemein
Die Erfahrungen des administrativen Vollzugs von Unionsrecht in Österreich nach 20 Jahren EU-
Mitgliedschaft sind vielfältig und in vielen Fällen und Rechtsmaterien spezifisch. Es besteht kein
Zweifel, dass das Unionsrecht und dessen Anwendung heute behördliches Alltagsgeschäft dar-
stellen.
Grundsätzliche Herausforderung in der Rechtsanwendung im Umgang mit Unionsrecht ist vor
allem die Ermittlung der „Fallnorm“ – die anzuwendende Normenkonstellation, bestehend aus
nationalen, regionalen und unionsrechtlichen Vorschriften, die materiellrechtlich, verfahrens-
rechtlich und organisationsrechtlich sein können.31
Diese unterschiedlichen Vorschriften unterscheiden sich oft in ihrer Geltungsart, in ihrer legisti-
schen Qualität und in ihrer Klarheit, ihren Anwendungs- und Auslegungsregeln, bilden aber ge-
meinsam den anzuwendenden Rechtsbestand. Das vereinfacht die Rechtsanwendung nicht gerade.
31 Vgl Handstanger, Vollziehung des EU-Rechts in Österreich, dargestellt am Beispiel der Anwendung des Gemein-
schaftsrechts durch den VwGH, in Hummer (Hrsg), Neueste Entwicklungen im Zusammenspiel von Europarecht
und nationalem Recht der Mitgliedstaaten (2010) 123 (135 ff)
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Austrian Law Journal
Band 1/2015
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2015
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 188
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal