Seite - 7 - in Austrian Law Journal, Band 1/2016
Bild der Seite - 7 -
Text der Seite - 7 -
ALJ 1/2016 Erlebt Schengen eine „Renaissance“ oder geht es unter? 7
Dublin I regelte das Erstasylprinzip in der Form, dass grundsätzlich derjenige „Schengen- bzw
Dublin“-Staat für die Abführung eines Asylverfahrens – mit präjudizieller Wirkung für alle anderen
Staaten im „Schengen-Dublin“-System – exklusiv zuständig ist, zu dem der Asylwerber die engsten
Beziehungen (zB da ihm dieser ein Visum ausgestellt hat, oder in diesem Staat bereits Verwandte
des FlĂĽchtlings leben), oder dessen AuĂźengrenze er erstmals ĂĽberschritten hat. Letztlich wurde
damit das Überschreiten der jeweiligen Schengen-Außengrenze zum Kriterium für die Zuständig-
keit des betroffenen Staates, das Asylverfahren durchzufĂĽhren, das fĂĽr alle anderen Schengen-
Staaten als verbindliches „Erstasylverfahren“ ausgestaltet war und damit dem Asylwerber keine
weitere Wahlmöglichkeit hinsichtlich des Asyllandes seiner Wahl iS eines „asylum shopping“ ge-
stattete.
Nachdem es durch den Vertrag von Amsterdam (1997) zu einem KompetenzĂĽbergang in den
Materien der Asyl-, Flüchtlings- und Migrationspolitik auf die Europäische Gemeinschaft (EG)33
gekommen war, wurde Mitte Februar 2003 der bisherige völkerrechtliche Besitzstand von „Dublin I“
durch eine Verordnung des Rates in das supranationale Unionsrecht übergeführt („Dublin II“).34 Die
VO „Dublin II“ ersetzte somit gem ihrem Art 24 Abs 1 das völkerrechtliche „Dublin I“-Abkommen.
In der Folge wurde 2013 die bisherige „Dublin II“-Verordnung des Rates durch eine weitere Ver-
ordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zu „Dublin III“35 näher ausgestaltet, die seit
dem 1. 1. 2014 in 32 europäischen Staaten unmittelbar anzuwenden ist.36
Ganz allgemein wurde damit sowohl der „Schengen“-Besitzstand als auch der „Dublin“-Besitzstand
von seinen völkerrechtlichen Rechtsgrundlagen gelöst, in das Recht der EU übergeführt und in
der Folge durch den Vertrag von Lissabon (2007) – mit dessen Inkrafttreten am 1. 12. 2009 – zu
einem wesentlichen Bestandteil des „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“37 ausge-
staltet. Dabei wurde das „Schengen“-System mit dem großteils komplementären „Dublin“-System
gegenseitig abgeglichen und inhaltlich ergänzt.
III. Der „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“
Gemäß Art 67 Abs 1 AEUV hat die EU einen „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“
auszubilden, in dem die Grundrechte und die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen
der Mitgliedstaaten geachtet werden. Dazu hat sie unter anderem spezielle Politiken in den Berei-
chen „Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung“ (Art 77 ff AEUV) auszuarbeiten. Der Erlass von
MaĂźnahmen gem Art 77 Abs 2, lit e AEUV, die sicherstellen sollen, dass Personen beim Ăśberschrei-
ten der Binnengrenzen nicht kontrolliert werden, ist dabei Teil des Ziels der Union nach Art 26
33 Art 63 EGV.
34 VO (EG) 343/2003 des Rates vom 18. 2. 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des
Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten
Asylantrags zuständig ist, ABl L 2003/50, 1 ff, und VO (EG) 1560/2003 der Kommission vom 2. 9. 2003 mit Durchfüh-
rungsbestimmungen zur Dublin II-VO (EG) 343/2003 ABl L 2003/222, 3 ff, samt DurchfĂĽhrungs-VO (EU) 118/2014 der
Kommission vom 30. 1. 2014 zur Ă„nderung der VO (EG) 1560/2003 ABl L 2014/39, 1 ff.
35 Verordnung (EU) 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. 6. 2013 zur Festlegung der
Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der fĂĽr die PrĂĽfung eines von einem Drittstaatsan-
gehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist,
ABl L 2013/180, 31 ff.
36 Vgl dazu Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung. Das Europäische Asylzuständigkeitssystem (2014); Muzak/Pinter
(Hrsg), Fremden und Asylrecht (idF 19. Lfg 2015); Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht –
Kommentar (2016).
37 Art 67 bis Art 89 AEUV.
zurĂĽck zum
Buch Austrian Law Journal, Band 1/2016"
Austrian Law Journal
Band 1/2016
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2016
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 110
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal