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ALJ 1/2016 Erlebt Schengen eine „Renaissance“ oder geht es unter? 21
Ebenso wenig ist der österreichischen Bevölkerung zunächst erklärt worden, warum der österrei-
chischen Bundesregierung durch eine Novellierung des Asylgesetzes 2005102 eine Ermächtigung
für den Erlass einer NotstandsVO zur Regulierung des Flüchtlingsstroms übertragen werden soll.
Konsequenterweise sollte diese Novelle daher auch ohne Begutachtung verabschiedet werden,103
und erst nach massiven Protesten der organisierten Zivilgesellschaft wurde eine (verkürzte) ein-
wöchige Begutachtungsfrist eingeräumt.104 Dass mittels dieser NotstandsVO Schutzsuchende per
Schnellverfahren an der Grenze und ohne Einleitung eines Asylverfahrens in die Nachbarländer
zurückgeschickt werden können, begegnet allerdings sowohl völkerrechtlichen, als auch europa-
rechtlichen Bedenken, was von einer Reihe von Institutionen gerügt wurde.
So gingen aus sieben österreichischen Bundesländern105 negative Stellungnahmen ein, die sich
vor allem gegen den Rechtsschutz bei Zurückweisungen bei den jeweiligen Landesverwaltungsge-
richten – bisher war für einen solchen Rechtsschutz nur das Bundesverwaltungsgericht zuständig –
kritisch äußerten, da sie dabei eine Überlastung derselben befürchteten.106 Aber auch andere
Gegenargumente wurden angeführt. So wird in einer Stellungnahme der Wiener Stadtregierung
festgestellt, dass der Erlass einer solchen VO in der jetzigen Situation dem Sachlichkeitsgebot des
Gleichheitssatzes und den unionsrechtlichen Vorgaben widersprechen würde. Dazu komme, dass
nach der ständigen Judikatur des EuGH die Gefährdung der öffentlichen Ordnung „eine tatsächli-
che und erhebliche Gefahr voraussetze, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“.107
Neben dem Menschenrechtskommissar des Europarates, Nils Muizniks, warnte vor allem auch
das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR), in einer am 21. 4. 2016 veröffentlichten Stellung-
nahme,108 vor der Verabschiedung dieser Novelle des Asylgesetzes und zwar aus folgenden
Gründen: zum einen soll die Beurteilung im Schnellverfahren an der Landesgrenze durch die
Polizei und nicht durch die spezialisierte Asylbehörde erfolgen, wobei die Polizei zur Sicherung
einer Zurückstellung Asylsuchende in Österreich für bis zu 14 Tage – anstatt der derzeitigen 120
Stunden – anhalten kann.
Zum anderen erhalten Asylsuchende vor ihrer Abschiebung oder Zurückstellung keine begründete
schriftliche Entscheidung darüber und haben somit keinen Zugang zu einem effektiven Rechts-
mittel gegen eine solche Entscheidung. Sie können sich nur ex post und aus dem Ausland im Wege
einer Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht wenden. Dementsprechend haben Asylsu-
chende auch keinen Anspruch auf Rechtsberatung und -vertretung. In einem vergleichbaren Fall
102 Vgl Gesamtändernder Abänderungsantrag der Abg Jürgen Schabhüttl und Werner Amon, MBA, zur RV: Bundesge-
setz, mit dem das Asylgesetz 2005, das Fremdenpolizeigesetz 2005 und das BFA-Verfahrensgesetz geändert werden
(996 BlgNR), 4/AUA 25. GP (§ 36 Abs 1 AsylG 2005: Verordnungsermächtigung der Bundesregierung im Falle der
Gefährdung der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicherheit während
der Durchführung von Grenzkontrollen).
103 Vgl Brickner/Kroisleitner, Regierung setzt schärferes Asylgesetz im Eiltempo durch, derStandard.at vom 8. 4. 2016.
104 Vgl Verschärfungen im Asylrecht: Innenausschuss holt Stellungnahmen ein. Einwöchige Begutachtungsfrist für
neue Notstandsregelung (Parlamentskorrespondenz Nr 372 vom 14. 4. 2016). Im Laufe der Begutachtungsfrist,
die am 21. 4. 2017 endete, gingen 60 überwiegend ablehnende Stellungnahmen ein. An wissenschaftlichen Einrich-
tungen äußerten sich dazu lediglich das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (BIM) in Wien am 20. 4.
2016 und das Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen der Karl-Franzens-Universität Graz am 21. 4.
2016.
105 Burgenland, Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark, Kärnten und Tirol.
106 Vgl Brickner/Kroisleitner, Europarat warnt Österreich vor neuem Asylgesetz, Der Standard vom 23./24. 4. 2016, 12.
107 Vgl Kroisleitner, Wiener Stadtregierung lehnt Asylnovelle ab, Der Standard vom 22. 4. 2016, 11.
108 UNHCR-Kurzanalyse zum Gesamtändernden Abänderungsantrag betreffend eine Änderung des Asylgesetzes
durch Sonderbestimmungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes der inneren Sicher-
heit während der Durchführung von Grenzkontrollen, vom 21. 4. 2016.
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Austrian Law Journal
Band 1/2016
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2016
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 110
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal