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ALJ 1/2016 Daniel Heitzmann 27
Netzes durch die Mittel der Mitgliedstaaten nicht ausreichend berücksichtigt werden können.26
Zusätzlich gibt Art 172 AEUV vor, dass Leitlinien und Vorhaben von gemeinsamem Interesse, die
das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats betreffen, dessen Billigung bedürfen. Die Verdrängung
einzelstaatlicher Interessen durch die Unionsplanung ist somit unmöglich, was die Bezeichnung
der ausgewählten Projekte als „Vorhaben von gemeinsamem Interesse“ auch begrifflich belegt;
vielmehr ist die TEN-Politik durch ein starkes Element der Zusammenarbeit zwischen EU und
Mitgliedstaaten gekennzeichnet. Die Rolle der Einzelstaaten im besonders sensiblen, da im Kern-
bereich staatlicher Territorialhoheit gelegenen27 raumwirksamen Planungsrecht bleibt somit
weitestgehend gewahrt.
B. Rechtsform
Die jüngsten Leitlinien im Energiebereich ergingen – im Gegensatz zu früheren –28 in der Hand-
lungsform einer unmittelbar und allgemein geltenden Verordnung,29 was die Kommission damit
begründet, dass nur eine Verordnung in der Lage sei, die rechtzeitige Umsetzung der ehrgeizigen
Ziele der Energieinfrastrukturprioritäten bis 2020 zu gewährleisten.30 Dies erscheint primärrecht-
lich problematisch: Leitlinien sollen lediglich Ziele, Prioritäten und Grundzüge vorgeben und sind
so grundsätzlich nicht unmittelbar gegenüber einem weiten Adressatenkreis vollzugsfähig, son-
dern bedürfen der mitgliedstaatlichen Umsetzung.31 Auch die Anordnungen der TEN-E-VO sind
weitestgehend an die Mitgliedstaaten gerichtet, diese haben die vorgeschriebenen Verfahrensab-
läufe in ihre nationalen Genehmigungsverfahren zu implementieren; die prädestinierte Rechts-
form wäre also der an die Mitgliedstaaten gerichtete Beschluss.32 Die deshalb von Teilen der
Literatur33 gesehene Primärrechtswidrigkeit der TEN-E-VO wird jedoch dadurch abgemildert, dass
Form und Titel eines Rechtsakts laut dem EuGH lediglich ein Indiz für dessen Rechtsnatur sind,
aber keine konstitutive Wirkung entfalten.34 Für die Zuordnung zu einer der unionsrechtlichen
Handlungsformen gem Art 288 AEUV kommt es damit regelmäßig auf Gegenstand und Inhalt an.35
Da sogar die Vereinigung mehrerer Rechtssatzformen in einem Sekundärrechtsakt möglich ist,36
kann die TEN-E-VO jedenfalls primärrechtskonform als „hinkende“37 Verordnung interpretiert
26 Vgl Art 5 Abs 3 AEUV.
27 Vgl Gärditz, Europäisches Planungsrecht (2009) 49.
28 Zuletzt die Entscheidung 1364/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. 9. 2006 zur Festle-
gung von Leitlinien für die transeuropäischen Energienetze und zur Aufhebung der Entscheidung 96/391/EG und
der Entscheidung 1229/2003/EG, ABl L 2006/262, 1.
29 Ebenso die jüngsten Leitlinien im Verkehrs- bzw Telekommunikationsbereich; vgl VO (EU) 1315/2013, ABl L
2013/348, 1 und VO (EU) 283/2014, ABl L 2014/86, 14.
30 KOM (2011) 658 endg 9.
31 N. Raschauer/Sander, SPRW 2012 VuV A, 9 (12).
32 So auch die überwiegende Literatur, vgl Schäfer/Schröder in Streinz, EUV/AEUV2 Art 171 AEUV Rz 5; Calliess in
Calliess/ Ruffert (Hrsg), EUV/AEUV4 (2011) Art 172 AEUV Rz 8.
33 Vgl Armbrecht, Infrastrukturplanung auf europäischer Ebene – Entwurf einer Verordnung zu Leitlinien für die
transeuropäische Energieinfrastruktur, DVBl 2013, 479 (483 f); Reichert/Voßwinkel, Europäische Kommission: Leit-
linien für den Ausbau transeuropäischer Netze (TEN-E), IR 2012, 98 (100), dies ebenso andeutend N. Raschauer/
Sander, SPRW 2012 VuV A, 9 (11 f).
34 EuGH 29. 1. 1985, 147/83, Binderer/Kommission; 13. 12. 1989, C-322/88, Grimaldi/Fonds des maladies profession-
nelles.
35 EuGH 6. 10. 1982, 307/81, Alusuisse Italia/Rat und Kommission; 14. 12. 1962, 16 U 17/62, Confédération nationale
des producteurs de fruits et légumes ua/Rat.
36 EuGH 14. 12. 1962, 16 U 17/62, Confédération nationale des producteurs de fruits et légumes ua/Rat; vgl Vcelouch in
Mayer/Stöger (Hrsg), EUV/AEUV, Art 288 AEUV (2010) Rz 10 f (Stand: Dezember 2010, rdb.at).
37 Zum Begriff Öhlinger/Potacs, EU-Recht und staatliches Recht5 (2014) 63; siehe auch B. Raschauer, Die Hochspan-
nungsleitung als Verfassungsproblem, in FS Berka (2013) 575 (588).
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Austrian Law Journal
Band 1/2016
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2016
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 110
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal