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ALJ 1/2017 Reinhard Jantscher 4
- Erstens fehlt eine Begründung für die Ansicht, dass Akte der Kriminalpolizei, die aufgrund
einer Anordnung der Staatsanwaltschaft (bzw – nach Ansicht des VfGH – auch einer richterli-
chen bzw staatsanwaltschaftlichen Ermächtigung) gesetzt werden, der Staatsgewalt Justiz
zuzurechnen seien.
- Zweitens scheint § 106 Abs 1 StPO in der Fassung nach der Teilaufhebung keine Grundlage
für Einsprüche gegen Akte der Kriminalpolizei zu bieten, selbst wenn diese aufgrund einer An-
ordnung der Staatsanwaltschaft gesetzt werden, es sei denn, man nimmt an, dass die Kri-
minalpolizei als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft tätig wird und die Staatsanwaltschaft folg-
lich als Urheberin solcher Akte gilt.
- Drittens ist fraglich, ob die von der hM angenommene Abgrenzung der Rechtsschutzwege
tatsächlich den Anforderungen des Grundrechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen
Richter (Art 83 Abs 2 B-VG) entspricht, wenn man den Maßstab des jüngsten Erkenntnisses
des VfGH zu § 106 Abs 1 StPO anlegt.
II. Die Rechtslage vor der StPO-Reform 2008
Da die Ansicht der Rsp und Lehre zur Abgrenzung der Rechtsschutzwege im strafrechtlichen
Ermittlungsverfahren nach der Teilaufhebung des § 106 Abs 1 StPO im Wesentlichen auf einer
Fortschreibung der vor der StPO-Reform 2008 hA beruht, muss eine Kritik jener Ansicht mit einer
Darstellung der Rechtslage vor der genannten Reform beginnen.
Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren in der Fassung vor der 2008 in Kraft getretenen Reform
zeichnete sich nicht nur durch eine Aufteilung in zwei Verfahrensstadien (Vorerhebungen und
Voruntersuchung) aus, sondern auch durch ein – von den Verfahrensstadien unabhängiges –
Nebeneinander von Kompetenzen zur Setzung von Zwangsakten:
Grundsätzlich war der Untersuchungsrichter (bzw der Erhebungsrichter, dem gem § 88 Abs 2
StPO aF – mit der Einschränkung, dass er nur auf Antrag des Staatsanwaltes tätig werden konnte –
alle Kompetenzen des Untersuchungsrichters zukamen) zur Setzung von Zwangsakten kompetent.
Die Sicherheitsbehörde besaß jedoch für den Fall, dass bei Gefahr im Verzug das unverzügliche
Einschreiten des Untersuchungsrichters nicht erwirkt werden konnte, eine eigene Kompetenz zur
Setzung von Zwangsakten (§§ 24 iVm 141, 177 ua StPO aF).12 Die Kompetenz des Untersuchungs-
richters war im genannten Fall nicht beseitigt, vielmehr lag eine mit der Kompetenz des Untersu-
chungsrichters konkurrierende Kompetenz13 der Sicherheitsbehörde vor: Diese bestand für den
Fall, dass der Untersuchungsrichter seine Kompetenz tatsächlich nicht wahrnehmen konnte. Nur
in diesem Fall konnte die Kompetenz der Sicherheitsbehörde rechtmäßig ausgeübt werden.
Die StPO regelte nur den Rechtsschutz gegen „Verfügung[en] oder Verzögerung[en] des Untersu-
chungsrichters“ und sah dafür die Beschwerde an die Ratskammer vor (§ 113 Abs 1 StPO aF).
Gegen Akte der Sicherheitsbehörden waren hingegen die allgemein gegen Verwaltungsakte zur
Verfügung stehenden Rechtsbehelfe – insb die Maßnahmenbeschwerde – zu ergreifen. Entschei-
12 Vgl dazu Kranewitter, Sicherheitsbehörden und Strafjustiz (1990) 23 ff, die von einer „subsidiären Kompetenz“
spricht (aaO 27 f). Außerdem bestand noch eine Kompetenz der Sicherheitsbehörden, auf Ersuchen des Staats-
anwalts Vorerhebungen durchzuführen (§ 88 Abs 1 StPO aF); ihre Zwangsbefugnisse beschränkten sich hierbei
jedoch auf die Ladung und Vorführung von Auskunftspersonen (§ 88 Abs 3 StPO aF iVm Art V EGVG aF iVm VStG).
13 Konkurrierende Kompetenzen sind regelmäßig verfassungsrechtlich bedenklich, „Notkompetenzen“ wie die im
Text besprochene sind jedoch zulässig: B. Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht4 (2013) Rz 158.
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Austrian Law Journal
Band 1/2017
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2017
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 56
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal