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ALJ 1/2017 Reinhard Jantscher 6
Vieles sprach daher für die vom VfGH gefundene Lösung (die dieser nie begründete). Sie war
jedoch mit folgenden Problemen verbunden: Gegen die dem Gericht zugerechneten Akte stand
kein Rechtsschutz zur Verfügung. § 113 Abs 1 StPO aF gewährte Rechtsschutz gegen „Verfügung[en]
und Verzögerung[en] des Untersuchungsrichters“, nicht aber gegen Akte der von ihm beauftragten
Organe. Die naheliegende, rechtsschutzfreundliche Lösung, solche Akte als Akte des Untersu-
chungsrichters anzusehen, wurde nicht gewählt.18 Der Betroffene eines von Sicherheitsorganen
im Auftrag des Untersuchungsrichters gesetzten Zwangsaktes erlangte damit im Ergebnis nur
Rechtsschutz, wenn im Verfahren über die Maßnahmenbeschwerde eine Überschreitung des
richterlichen Befehls festgestellt wurde. „Die Modalitäten und die näheren Umstände“ der Ausfüh-
rung eines richterlichen Befehls waren hingegen nach stRsp einer Prüfung im Rahmen einer
Maßnahmenbeschwerde entzogen.19
Weiters ließ der VfGH eine formfreie, rein behördeninterne, auch mündliche Beauftragung der
Sicherheitsorgane durch den Untersuchungsrichter für eine Zurechnung der beauftragten Akte
zum Gericht genügen.20 Dem Betroffenen konnten daher die tatsächliche Zurechnung der Akte
und damit der ihm offen stehende Rechtsschutzweg leicht verborgen bleiben; selbst nach Sich-
tung der Akten und Einvernahme der Beteiligten im Verfahren war eine Klärung oft schwierig.21
Schließlich war nicht näher bestimmt,
- wie stark ein richterlicher Befehl das Einschreiten der beauftragten Organe determinieren
musste, um Zurechnung zum Gericht zu bedingen;
- wann eine Überschreitung eines richterlichen Befehls vorlag; sowie
- welche Handlungen, die für die Vorbereitung und Unterstützung des beauftragten Aktes
gesetzt wurden, noch dem Gericht zuzurechnen waren.
Bei der Beurteilung der zuletzt genannten Fragen schwankte die Judikatur erheblich.22,23
18 Vgl den in VfSlg 18152/2007 zitierten Beschluss der Ratskammer beim LGS Wien und Kranewitter, Sicherheitsbe-
hörden 48.
19 VfSlg 11.524/1987; 11783/1988; 11961/1989; VwGH 17.5.1995, 94/01/0763; 23.9.1998, 97/01/1084; 16.2.2000,
96/01/0233.
20 Grundlegend VfSlg 3916/1961; vgl auch VfSlg 10669/1985, 12299/1990 und 12300/1990.
21 Vgl VfSlg 3916/1961: Der Beschwerdeführer wandte sich gegen die Beschlagnahme von Stacheldraht durch einen
Gendarmen. Der Gendarm sagte vor dem VfGH aus, er habe einen mündlichen Auftrag zur Beschlagnahme vom
Bezirksrichter erhalten. Dieser konnte sich nicht daran erinnern, und es gab auch keinen Vermerk in den Ge-
richtsakten. Da die Gendarmerie den Befehl im Stationsdienstbuch eingetragen hatte, glaubte der VfGH dem
Gendarmen und rechnete sein Handeln dem Gericht zu: „Daran ändert der Umstand nichts, daß die gerichtliche
Verfügung möglicherweise nicht in der erforderlichen Form ergangen ist. Es genügt, daß jedenfalls ein richterlicher Auf-
trag erteilt wurde.“
22 Eine Überschreitung des richterlichen Befehls lag, wie oben ausgeführt, nach einer häufig wiederkehrenden
Formel der Rsp nicht vor, soweit Gesetzwidrigkeiten bei der Ausführung des Befehls nur „Modalitäten und nähere
Umstände“ betrafen (siehe die Nachweise in FN 19), zB die Verhältnismäßigkeit des Einschreitens (VwGH
7.10.2010, 2008/17/0222). Dementsprechend sprach der VwGH in einer Entscheidung aus, im Wege einer Maß-
nahmenbeschwerde könnte die „Anzahl der einschreitenden Beamten, der Einsatz von Suchtgifthunden oder die be-
hauptetermaßen mit einer Verwüstung endende Durchsuchung von Möbeln und Kästen“ im Rahmen einer richterlich
angeordneten Hausdurchsuchung nicht aufgriffen werden (VwGH 23.9.1998, 97/01/1084). In einer anderen Ent-
scheidung wurde es hingegen – trotz Anführung der Formel von den „Modalitäten und näheren Umständen“ – als
Überschreitung des richterlichen Befehls angesehen, eine Garagentüre und einen LKW im Zuge einer Haus-
durchsuchung aufzubrechen, ohne vorher nach den Schlüsseln zu fragen (VwGH 6.7.1999, 96/01/0061). Was die-
ses Vorgehen von einer „bloßen“ Unverhältnismäßigkeit und damit einer bloßen rechtswidrigen Modalität des
Einschreitens unterscheidet, ist unerfindlich. Tatsächlich ist die Unterscheidung zwischen der Überschreitung
eines richterlichen Befehls und einer bloßen Gesetzwidrigkeit bei seiner Ausführung gar keiner präzisen Abgren-
zung durch eine abstrakte Formel, die zu vorhersehbaren Ergebnissen führt, zugänglich.
23 Nach den Formeln der Rsp deckte ein richterlicher Befehl auch nicht ausdrücklich angeordnete Maßnahmen,
wenn sie zur Erreichung des Zwecks des richterlichen Befehls erforderlich waren, und sie auf ihre „dienende
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Austrian Law Journal
Band 1/2017
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2017
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 56
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal