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Austrian Law Journal, Band 1/2018
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ALJ 2018 „Negativzinsen“ – Bestandsaufnahme und weitere offene Fragen 34 Sicht ex ante bekanntlich weitestgehend unvorhersehbar ist und dies von den Vertragsteilen bewusst in Kauf genommen wurde.64 Müsste der Kreditnehmer, wie von manchen behauptet wird65, jedenfalls den Aufschlag („2,000 %“) als „Mindestsollzinssatz“ bezahlen, könnte es in manchen Konstellationen zu einer nahezu vollständigen Verlagerung des Zinsänderungsrisikos auf den Kreditnehmer kommen, wie das nachfolgende Beispiel verdeutlichen soll: Ein variabel verzinster Kreditvertrag über 200.000 € wurde im September 2012 abgeschlossen. Der vom Kreditnehmer zu bezahlende Sollzinssatz ergibt sich aus einem festen Aufschlag in Höhe von „2,000 %“ plus dem „3-Monats-EURIBOR“, welcher zu diesem Zeitpunkt bei ungefähr +0,250 % lag.66 Der Anfangssollzinssatz hätte dementsprechend 2,250 % betragen. Läge die Untergrenze beim Aufschlag („2,000 %“), könnte der Sollzins um exakt -0,250 % nach unten absinken. Umge- kehrt wäre nach oben hin ein unbegrenzter Zinsanstieg möglich. Einem Kreditnehmer, der mit dem Kreditgeber eine variable Verzinsung vereinbart, im Wege der Vertragsauslegung zu unterstellen, er habe sich mit dem „Zinsänderungsrisiko“ belasten wollen, sich aber gleichzeitig keine relevante „Zinsänderungschance“ erhofft, wäre mE äußerst bedenk- lich. Ein neuerlicher Rückgriff auf die normative Auslegung bestätigt diesen Eindruck: Die ent- scheidende Frage ist nämlich, wie die Zinsgleitklausel von einem redlichen und verständigen Kreditnehmer unter den gegebenen Umständen verstanden werden durfte. Der Kreditnehmer, der einer aus seiner Sicht risikobehafteten Zinsgleitklausel zustimmt und gerade keinen teureren, aber für ihn „sichereren“ Fixzinskredit wünscht,67 geht für den Kreditge- ber erkennbar von einer ausgewogenen Verteilung von Chancen und Risiken aus.68 Ein redlicher Kreditgeber kann und darf nicht davon ausgehen, dass der Kreditnehmer nahezu das gesamte „Zinsänderungsrisiko“ auf sich nehmen wollte, ohne sich dafür einen entsprechenden „Zinsände- rungsvorteil“ zu versprechen. Nach der Vertrauenstheorie ist der Kreditnehmer in seiner Erwar- tung einer gleichmäßigen Verteilung von Chancen und Risiken zu schützen.69 Ein mE durchaus gewichtiges, aber bislang kaum beachtetes Zusatzargument für das hier vertre- tene Auslegungsergebnis ist der „Vertragszweck“70 von Zinsgleitklauseln: Sie dient der Wahrung 64 Eliskases, JBl 2017, 740; vgl auch Ertl, Memo: Inflation und Privatrecht, ecolex 2008, 313 (314); ders in Fenyves/ Kerschner/Vonkilch, Klang3 § 985 Rz 72; Aichberger-Beig in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 985 Rz 12. 65 Zöchling-Jud, ÖBA 2015, 325; Ch. Rabl, VbR 2016, 63; G. Graf, ZFR 2017, 371 f. 66 Österreichischen Nationalbank, https://www.oenb.at/Statistik/Standardisierte-Tabellen/Internationale-Vergleiche/ Zinssaetze-und-Renditen/Drei-Monats-Zinss-tze.html (zuletzt abgefragt am 28. 5. 2018). 67 Man könnte durchaus sagen, der höhere Risikoaufschlag beim „Fixzinskredit“ stelle eine Art „Versicherungsprä- mie“ gegen nachträgliche Zinssteigerungen dar. 68 S zu Recht bereits Leupold, VbR 2015, 83; ihr folgend Kronthaler, Zak 2016, 129; ders, ÖJZ 2017, 105; ders, Zak 2017, 225 f; Aichberger-Beig in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.03 § 988 Rz 12/1; OGH 4 Ob 60/17b = ÖBA 2017, 422 (krit B. Koch); dem 4. Senat folgend OGH 8 Ob 101/16k = ZFR 2017, 393; OGH 8 Ob 107/16t = ZFR 2017, 556 (Ruhm); OGH 9 Ob 35/17p = ZFR 2017, 550; OGH 3 Ob 88/17p = ÖBA 2017, 861; ausdrücklich aA G. Graf, ZFR 2017, 372. 69 Die Behauptung, der OGH stütze seine Argumentation alleine (!) auf den Wortlaut der Zinsgleitklauseln, ist un- richtig (anders aber S. Foglar-Deinhardstein, Anmerkung zu OGH 8 Ob 101/16x, ÖBA 2018, 45 [46], der genau dies behauptet). Vielmehr berücksichtigt der OGH – mE mit Recht – auch verschiedene normative Gesichtspunkte im Rahmen der einfachen Vertragsauslegung. 70 Vgl zur Beachtlichkeit des „Vertragszwecks“ bei der Auslegung Gschnitzer in Klang IV/12 405; Heiss in Kletečka/ Schauer, ABGB-ON1.02 § 914 Rz 32; Vonkilch in Fenyves/Kerschner/Vonkilch (Hrsg), Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch3 (2011) § 914 Rz 175 ff; skeptisch aber G. Graf, Vertrag und Vernunft (1997) 251 ff.
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Austrian Law Journal Band 1/2018
Titel
Austrian Law Journal
Band
1/2018
Autor
Karl-Franzens-Universität Graz
Herausgeber
Brigitta Lurger
Elisabeth Staudegger
Stefan Storr
Ort
Graz
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
Abmessungen
19.1 x 27.5 cm
Seiten
68
Schlagwörter
Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
Kategorien
Zeitschriften Austrian Law Journal
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