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ALJ 2018 Christoph Kronthaler 55
den Kreditnehmer überwälzt (vgl etwa das Beispiel oben unter Pkt IV.B.). Zusätzlich müsste eine
solche Klausel als sittenwidrig (§ 879 Abs 1 ABGB) angesehen werden.216
Das Fehlen eines „Zinscaps“ in der Zinsgleitklausel mit Untergrenze könnte aber ohne Zweifel auf
andere Weise sachlich gerechtfertigt werden; etwa dadurch, dass der vom Kreditnehmer zu be-
zahlende Aufschlag ohne „Zinscap“ merklich niedriger ausfällt als mit einem solchen. Der Kredit-
nehmer kann diesfalls frei darüber entscheiden, ob er im Gegenzug für die Übernahme des
„Zinsanstiegsrisikos“ einen zumindest anfänglich günstigeren Kredit möchte oder ob er doch
lieber einen höheren Risikoaufschlag bezahlt.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Kredite an Unternehmer oder die „öffentliche
Hand“ mit einer Unter-, aber ohne eine Obergrenze durchaus denkbar sind.217 Der unternehme-
rische oder als solcher zu behandelnde (§ 1 Abs 2 S 2 KSchG) Kreditnehmer darf aber nicht in
unsachlicher Weise benachteiligt werden.
Mangelt es an einer sachlichen Rechtfertigung, dann wäre die Zinsgleitklausel wegen Sittenwid-
rigkeit und gröblicher Benachteiligung des Kreditnehmers als nichtig anzusehen. Im Unterschied
zu Verbraucherkreditverträgen handelt es sich aber um keine absolute, von Amts wegen aufzug-
reifende Nichtigkeit,218 sondern bloß um eine relative Nichtigkeit.219
Trotz Nichtigkeit der Zinsgleitklausel bleibt der Restkreditvertrag wirksam. Nach der älteren hA220
käme es zu einer geltungserhaltenden Reduktion der Zinsgleitklausel; diese bliebe demnach mit
ihrem gerade noch zulässigen Inhalt bestehen. An einer so verstandenen geltungserhaltenden
Reduktion wird aber, insb aus Präventionsgründen, mit Recht Kritik geübt:221 Es wäre dem ver-
handlungsmächtigeren Vertragsteil ohne nennenswertes Risiko möglich, ein sittenwidriges oder
gröblich benachteiligendes Rechtsgeschäft durchzusetzen, weil er sich äußerstenfalls mit einer
bis zur Grenze des Erlaubten gemäßigten Ersatzregelung zufrieden geben müsste. Dies wird in
der neueren Lehre222 aber teilweise dadurch entschärft, dass die fragliche Klausel auf ein jeden-
falls unbedenkliches Ausmaß reduziert wird. Soweit die Sittenwidrigkeit oder gröbliche Benach-
teiligung einer bestimmten Klauselgestaltung allerdings evident ist, erscheint eine Geltungserhal-
tung dennoch besonders problematisch. Unter diesen Umständen greift der gegen die geltungs-
216 Nach der hier vertretenen Auffassung ist der Maßstab der gröblichen Benachteiligung kein strengerer als jener
bei der Sittenwidrigkeit. Ein Unterschied besteht jedoch – wie Kletečka (in Aicher/Holoubek, Schutz von Verbrau-
cherinteressen 135 ff) überzeugend nachgewiesen hat – auf Ebene der Beweislast.
217 IdS bereits Kronthaler, ÖJZ 2017, 108; aA wohl Told, ÖBA 2017, 845.
218 ZB Graf in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 879 Rz 297; P. Bydlinski, AT7 Rz 7/44.
219 Told, ÖBA 2017, 845; OGH 3 Ob 47/16g = ÖBA 2016, 762 (Zöchling-Jud); vgl auch RIS-Justiz RS0016450.
220 Stellvertretend Gschnitzer in Klang IV/12 169 mwN; vgl auch Bollenberger in KBB5 § 879 Rz 30.
221 Vgl Iro, Teilwirksamkeit gröblich benachteiligender AGB-Klauseln „soweit gesetzlich zulässig“? RdW 1987, 7; Fitz, Zur
„geltungserhaltenden Reduktion“ überschießender AGB-Klauseln, in FS Schnorr (1988) 645 ff; Kletečka in Aicher/
Holoubek, Schutz von Verbraucherinteressen 145 ff; Koziol – Welser/Kletečka, BR I14 Rz 569; so auch die hL in
Deutschland vgl Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Das Rechtsgeschäft4 (1992) 389; Wolf/Neuner, AT11
Rz 46/64 f; Bork, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs4 (2016) Rz 1201; Roloff in Erman (Hrsg), BGB I15
(2017) § 306 BGB Rz 8; im Wesentlichen auch Armbrüster in MüKoBGB I7 § 138 BGB Rz 158 ff, der aber in man-
chen Fällen eine geltungserhaltende Reduktion für zulässig hält; aM etwa Sack/Fischinger in Staudinger, BGB § 138
BGB Rz 154 ff, die sich für eine teleologische Reduktion von § 138 BGB aussprechen. Es kommt nach ihnen also
darauf an, ob Zweck der verletzten „Sittennorm“ die Nichtigkeit erfordert; für eine prinzipielle Zulässigkeit auch
Faust in Dauner-Lieb/Heidel/Ring (Hrsg), NomosKommentar zum BGB I3 (2016) § 139 BGB Rz 31 ff.
222 Welser, JBl 1980, 10; F. Bydlinski, Allgemeine Versorgungsbedingungen und Energielieferungsverträge in Öster-
reich, in FS Neumayer (1985) 115 (126 ff); Koziol, Sonderprivatrecht für Konsumentenkredite? AcP 188 (1988), 183
(221 f); Graf in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.04 § 879 Rz 299. Vgl auch Canaris, Gesamtunwirksamkeit und Teilgül-
tigkeit rechtsgeschäftlicher Regelungen, in FS Steindorff (1990) 519 (549 ff); ferner Sack/Fischinger in Staudinger,
BGB § 138 BGB Rz 204.
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Austrian Law Journal
Band 1/2018
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2018
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 68
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal