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ALJ 2018 Technokratie und Posttechnokratie 62
Legitimation stellt auf die Qualität des Outputs ab und nicht auf den Input, dh auf die von den
Herrschafts- oder Rechtsunterworfenen in Wahlen, Abstimmungen und öffentlichen Debatten
zum Ausdruck gebrachten politischen Präferenzen. Es ist die Erwartung der Richtigkeit oder Ver-
nünftigkeit von Entscheidungen, auf der die Legitimität technokratischer Arrangements ruht. Die
Begründung dieser Erwartung kann allerdings nicht allein im Vertrauen auf den Sachverstand der
handelnden Personen liegen, und sei dieses Vertrauen völlig berechtigt. Auch Expertinnen und
Experten können irren oder von anderen als sachlichen Erwägungen geleitet werden. Zudem ist
echte Expertise, woran immer man sie erkennen mag, beschränkt. Es braucht also ein System
von „checks and balances“, klare Aufgabenbeschreibungen und Entscheidungsprotokolle, mithin
eine Verteilung von Kompetenzen, von Rollen und Verantwortungen. Und natürlich muss eine
verlässliche Implementierung der Entscheidungen sichergestellt werden. Das alles bedingt Nor-
men, die nur wenig Ermessenspielraum offen lassen und deren Anwendung nicht allzu viele Ab-
wägungen erfordert, woraus notorisch Unsicherheit resultieren würde. Auch wenn das Verständ-
nis ihres systematischen Zusammenhangs seinerseits besondere, eben juristische Expertise er-
fordert.
Die Posttechnokratie zeichnet sich demgegenüber durch eine Rhetorik der Bürokratieskepsis
aus. Institutionen seien zu „verschlanken“ und Abläufe zu vereinfachen. Mit „Bürokratie“ werden
eben nicht nur Sicherheit und Berechenbarkeit assoziiert, sondern auch Schwerfälligkeit, dys-
funktionale Komplexität, Weltfremdheit und Disziplinierung. Realiter sind posttechnokratische
Institutionen jedoch typischerweise nicht weniger bürokratisch. Zumindest weisen sie selbst eine
Tendenz zu Hypertrophie auf. Nur ihre Normensprache ist eine andere, und zwar eine, welche
die mit Bürokratisierung verbundenen Rationalitätsgewinne zu kassieren neigt. Sie ist weicher
und vager, und zwar nicht nur an der phonetischen und semantischen Oberfläche (wo es etwa
„Evaluierung“ und nicht „Überprüfung“ heißt). Zu strikt verbindlichen Geboten, Verboten und
Erlaubnissen gesellen sich in noch größerer Zahl, als dies mit Bürokratie für genuin technokrati-
sche Strukturen vereinbar wäre, Normen, die als bloße Erwägungsgesichtspunkte fungieren bzw
lediglich die Interpretation anderer Normen und den Ermessensgebrauch anleiten sollen. Verfah-
ren dienen, wenn sie überhaupt auf Entscheidungen und nicht bloß auf Informationsaustausch
zwecks besserer Abstimmung abzielen, mehr der Entscheidungsvorbereitung als der Entschei-
dungsfindung selbst. Disziplinierungseffekte ergeben sich damit weniger aus expliziten Vorschrif-
ten als aus nichtformalisierten Machtstrukturen und der Notwendigkeit, strategisch zu handeln.
2. Hierarchie
Die Technokratie ist hierarchieaffin und „government“-, also autoritätsfokussiert. Oben ist die Exper-
tise, unten die Anerkennung der Überlegenheit dieser Expertise gegenüber der eigenen und/
oder die Einsicht, dass stabile Befehlsstrukturen ein Gebot der Effizienz sein können, weil sie
naturgemäß weniger Transaktionskosten verursachen als die ständige Konsenssuche und das
Verhandeln.17 Von den Hierarchien in einem (partiell) technokratischen System mag es zwar
mehrere geben, sodass sich Technokratie durchaus mit einem gewissen Maß an Dezentralisie-
17 Unter anderem aus diesem Grund finden sich formalisierte Hierarchien nicht nur im Staat und in der Verwal-
tung, sondern auch in der ökonomischen Sphäre, nämlich in Unternehmen. Und wenn das Transaktionskosten-
Argument nicht als Erklärung dienen kann, dann zumindest als Rechtfertigung. Locus classicus: Coase, The Firm,
the Market and the Law (1988). Dazu, was das für das politische Denken bedeuten sollte, Anderson, Private Gov-
ernment: How Employers Rule Our Lives (and Why We Don’t Talk about It) (2017).
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Austrian Law Journal
Band 1/2018
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2018
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 68
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal