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ALJ 2019 Entlastungswirkung der hypothetischen KausalitÀt 23
einer Haftung kommen, wenn der Schaden auch bei rechtmĂ€Ăigem Verhalten entstanden wĂ€re.
GewissermaĂen fehlt es schon an der KausalitĂ€t der Pflichtwidrigkeit.25
Wird eine Handlung beurteilt, fordert ein Teil der Lehre eine Trennung zwischen der PrĂŒfung der
KausalitĂ€t und dem Einwand des rechtmĂ€Ăigen Alternativverhaltens.26 Die Grenzen zwischen Kau-
salitĂ€t und KausalitĂ€t der Pflichtwidrigkeit, die das rechtmĂ€Ăige Alternativverhalten vor Augen hat,
verschwimmt jedoch zusehends. Bei der PrĂŒfung einer Unterlassung lĂ€sst sich die Zweiteilung
schon praktisch nicht durchhalten. Es kann dabei die KausalitÀt nur auf ein konkret gebotenes Tun
bezogen geprĂŒft werden. Daher steht bereits auf der Ebene der KausalitĂ€t die Auswirkung der
Pflichtwidrigkeit zur Diskussion.27 Die KausalitÀt der Unterlassung ist damit von normativen Wer-
tungen getragen und nicht ausschlieĂlich auf die Ermittlung einer deterministischen KausalitĂ€ts-
kette gerichtet.
C. Gemeinsamkeiten der FÀlle der hypothetischen KausalitÀt
Die KausalitĂ€tsprĂŒfung der Unterlassung und die Lehre vom rechtmĂ€Ăigen Alternativverhalten
bauen auf einem rein fiktiven Verhalten des SchÀdigers auf. Die Hypothese, die gebildet wird, ist
allgemein und offen gehalten. SchlieĂlich soll damit eine Lösung fĂŒr eine Vielzahl von Standard-
problemen gefunden werden. Die ĂŒberholende KausalitĂ€t setzt hingegen eine Sonderkonstellation
voraus, in der eine Reserveursache real eintritt und den bereits zuvor entstandenen Schaden an
sich auch verursacht hÀtte.28 Allein aufgrund eines zeitlichen Unterschiedes verwirklicht sich die
erste und nicht die hypothetische Ursache. Eine Reserveursache muss es hingegen beim rechtmÀ-
Ăigen Alternativverhalten und bei der PrĂŒfung der Unterlassung nicht notwendigerweise geben.
Aufgrund der weit gefassten Hypothese ist dies aber nicht ausgeschlossen. Zu denken wÀre an
FĂ€lle, in denen das hinzugedachte Tun ein Verhalten eines Dritten zum Inhalt haben soll oder zu
einer Reaktion eines Dritten fĂŒhrt.
Die Problemstellungen der KausalitĂ€t bei der Unterlassung, dem rechtmĂ€Ăigen Alternativverhalten
und der ĂŒberholenden KausalitĂ€t sind damit bestimmt nicht völlig deckungsgleich. Im Kern geht es
fĂŒr alle drei Kategorien jedoch darum, ob sich der reale Verursacher durch ein Verhalten, das nie
stattgefunden hat oder den Schaden in seiner konkreten Form nicht verursachen konnte, entschul-
digen kann und folglich aus der Haftung entlassen wird.29 Die Frage nach der Entlastungswirkung
25 RIS-Justiz RS0111706; Koziol, Grundfragen des Schadenersatzrechts (2010) 7/2; zur pflichtbezogenen KausalitÀts-
lehre, die KausalitĂ€t und Rechtswidrigkeit auch bei einem Tun verknĂŒpfen will, siehe statt vieler: Hanau, Die Kau-
salitĂ€t der Pflichtwidrigkeit (1971); von Caemmerer, Das Problem der ĂŒberholenden KausalitĂ€t im Schadenersatz-
recht 31 ff; Geroldinger, Der mutwillige Rechtsstreit 107 ff; A. Reich-Rohrwig, AufklÀrungspflichten vor Vertragsab-
schluss (2015) 693 ff.
26 Statt vieler zu den VorzĂŒgen der KausalitĂ€tsprĂŒfung, die sich auf die UrsĂ€chlichkeit des realen Verhaltens bezieht:
Koziol, HPR I3 Rz 8/60; 3/10; zu einer KausalitĂ€t der Pflichtwidrigkeit in Ăsterreich siehe Reischauer in Rummel,
ABGB3 §1295 Rz 1.
27 Karollus, Funktion und Dogmatik der Haftung aus Schutzgesetzverletzung (1992) 391 ff; Rebhahn, Staatshaftung
643; Spindler, AcP 208 (2008) 283 ff legt dar, dass KausalitÀt als Wertung zu verstehen ist und daher stets ein
Zusammenhang zur Pflichtwidrigkeit bestehe; Reischauer in Rummel, ABGB3 §1295 Rz 1;Geroldinger, Der mutwil-
lige Rechtsstreit 108 f; A. Reich-Rohrwig, AufklÀrungspflichten 693 ff merkt an, dass bei der Unterlassung die Kau-
salitĂ€t schlicht exakter als bei aktivem Tun geprĂŒft werde.
28 Koziol, HPR I3 Rz 8/62, 3/58, FN 174; Kleewein, Hypothetische KausalitÀt 177 f; OGH 28.2.2018, 6 Ob 234/17.
29 Vgl Koziol, Grundfragen des Schadenersatzrechts 5/125 f; 7/29 f, der auf Riss, JBl 2004, 423 (430 ff) verweist; Nie-
derlĂ€nder, JZ 1959, 618; Grunsky in MĂŒKoBGB3§ 249 Rn 87 f geht davon aus, dass es beim rechtmĂ€Ăigen Alterna-
tivverhalten stets um ein KausalitÀtsproblem gehe. Es sei daher generell zum Problemkreis der kumulativen und
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Buch Austrian Law Journal, Band 1/2019"
Austrian Law Journal
Band 1/2019
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2019
- Autor
- Karl-Franzens-UniversitÀt Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 126
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal