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ALJ 2019 Waldemar Hummer 56
Jahr 2000 erstmals zu einer Verurteilung eines Mitgliedstaates (Griechenland) zur Zahlung eines
Zwangsgeldes in Höhe von täglich 20.000 Euro5 und wiederum fünf Jahre später verhängte der
EuGH im Jahr 2005 gegen Frankreich zum ersten Mal auch einen Pauschalbetrag in Höhe von 20
Mio Euro6.
Obwohl die einschlägige Bestimmung des Art 228 Abs 2 EGV in diesem Zusammenhang expressis
verbis lediglich die Verhängung eines Pauschalbetrages „oder“ eines Zwangsgeldes vorsah, kumu-
lierte der EuGH in dieser Rechtssache erstmals beide finanziellen Sanktionen, da sie zum einen
unterschiedliche Zwecke verfolgen – dem (einmaligen) Pauschalbetrag wohnt ein punitiver Cha-
rakter inne, während das (täglich fällige) Zwangsgeld als Beugemitttel zu sehen ist, das den säumi-
gen Mitgliedstaat zwingen soll, dem „zweiten“ Vertragsverletzungsurteil des EuGH so rasch wie
möglich nachzukommen – und zum anderen sinnvoller Weise auch gemeinsam eingesetzt werden
sollten, um eine effektive Befolgung des verurteilenden Erkenntnisses sicherzustellen. Seit diesem
Judikat kumuliert der EuGH regelmäßig beide finanziellen Sanktionen – iSe „konjunktiven“ („und-
oder“) und nicht „disjunktiven“ („entweder-oder“) „oder“-Begriffs – und verhängt nunmehr stets
sowohl einen Pauschalbetrag wie auch ein Zwangsgeld.
Durch den Vertrag von Lissabon (2007) wurde nun das in Art 228 Abs 2 EGV vorgesehene Sankti-
onsverfahren in dessen Nachfolgebestimmung, dem Art 260 Abs 2 AEUV, dahingehend verschärft,
dass das vorprozedurale Verfahren bis zur Klagserhebung durch die Kommission verkĂĽrzt wird, da
die „mit Gründen versehene Stellungnahme“ der Kommission entfällt. Der allgemeine Ansatz der
Kommission fĂĽr die Berechnung der von ihr vorgeschlagenen finanziellen Sanktionen blieb aber
im Grunde gleich.
III. Bisherige Methode der Kommission zur Berechnung finanzieller Sank-
tionen
1996 hatte die Kommission eine erste Mitteilung ĂĽber die Anwendung von Art 228 Abs 2 EGV ver-
öffentlicht,7 der 1997 eine zweite Mitteilung8 folgte, in der vor allem die Methode der Berechnung
des Zwangsgeldes behandelt wurde. 2001 legte die Kommission in einem internen Beschluss den
zur Berechnung des Zwangsgeldes zu verwendenden Koeffizienten fĂĽr die Dauer des VerstoĂźes
fest.9 In ihrer Mitteilung vom 12. Dezember 2005 zur Anwendung von Art 228 EGV10 konsolidierte
die Kommission die von ihr für die drei einschlägigen Kriterien – Schwere des Verstoßes, Dauer des
Verstoßes und erforderliche Abschreckungswirkung – festgesetzten Bedingungen und kündigte an,
dass sie diese fĂĽr alle Entscheidungen zur Anrufung des Gerichtshofes, die sie nach dem 1. Januar
2006 gem Art 228 EGV treffen werde, anwenden wird.
In der Folge hätte normalerweise 2009 eine erste Anpassung der Parameter der Berechnungsme-
thoden vorgenommen werden sollen. Angesichts der auĂźerordentlich instabilen Wirtschaftslage
5 EuGH 4. 7. 2000, C-387/97, Kommission/Griechenland, Slg 2000, I-5047 (ECLI:EU:C:2000:356).
6 EuGH 12. 7. 2005, C-304/02, Kommission/Frankreich, Slg 2005, I-6263 (ECLI:EU:C:2005:444); vgl Hummer, Teure
Nichtbefolgung von Urteilen des EuGH, Wiener Zeitung vom 6. September 2006, 11.
7 Mitteilung der Kommission – Mitteilung über die Anwendung von Artikel 171 EG-Vertrag, ABl C 1996/242, 6.
8 Mitteilung der Kommission – Verfahren für die Berechnung des Zwangsgeldes nach Artikel 171 EG-Verfahren, ABl
C 1997/63, 2 ff.
9 Dok PV(2001) 1517/2 vom 2. April 2001.
10 SEK(2005) 1658.
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Austrian Law Journal
Band 1/2019
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2019
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 126
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal