Seite - 63 - in Austrian Law Journal, Band 1/2019
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ALJ 2019 Die Aussetzung (§ 334 StPO) 63
Strafprozessordnung von 1850 enthalten, wobei das erstgenannte aus dem französischen Recht
entlehnt wurde.9 Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang (nicht nur aus heutiger Sicht,
aber insbesondere deshalb, da ins Heute weiterwirkend) die recht undifferenzierte Inkorporation
einer für die französische Strafverfahrensordnung geltenden Vorschrift in den österreichischen
Rechtsbestand unter verschiedenen Aspekten: Zum einen war die Norm auf das System des fran-
zösischen Strafverfahrens zugeschnitten, sodass eine Adaptierung in die österreichische Rechts-
ordnung im Wege der mehr oder minder exakten Ăśbernahme iSe Rechtsimports auf Grund unter-
schiedlicher Gesamtkonzeptionen per se fraglich erscheinen muss; zum anderen ist die Weiterent-
wicklung des Strafverfahrens in Ă–sterreich seit 1850 hinsichtlich der Rechte des Angeklagten in
den Blick zu nehmen. Eine Strafverfahrensnorm des Jahres 1850, die in ihrer Entwicklung inhaltlich
allein zu Lasten der Normunterworfenen verändert wurde, ist sehr schwierig mit heutigen rechts-
staatlichen Prinzipien, und gerade jenen, welche die Rechte des Angeklagten betreffen, in Einklang
zu bringen.10 Inhaltlich differiert die Aussetzungsnorm, welche bis 1933 bestand, in eklatanter
Weise von der seit 1951 bis dato in Geltung befindlichen: Während bis 1933 eine Aussetzung der
Entscheidung ausschließlich zu Gunsten des Angeklagten möglich war11, somit als Mittel der Be-
kämpfung eines „irrtümlichen“ Schuldspruchs bzw einer „irrtümlichen“ rechtlichen Beurteilung zu
Lasten des Angeklagten durch die Geschworenen fungierte, und jenen somit vor ungerechtfertig-
ten Verurteilungen bewahren sollte,12 wurde mit Art I Z 11 der (auf dem sog „kriegswirtschaftlichen
Ermächtigungsgesetz“ beruhenden) Verordnung des Bundesministers für Justiz vom 24.3.1933 (ne-
ben anderen inhaltlichen Veränderungen)13 die Aussetzung zu Lasten des Angeklagten in das ös-
terreichische Recht aufgenommen14 und auch nach der WiedereinfĂĽhrung der Geschworenenge-
richtsbarkeit im Jahre 1951 beibehalten.15 Die heute bestehende Vorschrift des einschlägigen § 334
StPO stellt somit in Bezug auf einen wesentlichen inhaltlichen Teilbereich eine – wenngleich bereits
vor der Machtergreifung mit Reformvorhaben begonnen wurde – ihrem Ursprung her solche des
frühen austrofaschistischen Ständestaates dar. Überaus erhellend konstatiert idZ Burgstaller, dass
die Aussetzung ihrem Zweck nach bei ihrer EinfĂĽhrung in Ăśbereinstimmung mit den Intentionen
des Gesetzgebers einen „nur für die Fälle der äußersten Notwendigkeit vorgesehene[n] Rechtsbe-
helf“ darstellte, „durch welchen zum ausschließlichen Vorteil des Angeklagten der Gefahr einer
schweren Rechtsverletzung entgegengetreten werden soll“,16 und zum anderen stellt er durch die
inhaltliche Veränderung der Aussetzung im Jahre 1933 eine „Wesensänderung“ hin zu einem von
in Ausnahmefällen heranzuziehenden Rechtsbehelf hin zu einem „Korrektiv gegen Fehlsprüche der
9 Burgstaller in Burgstaller/Schima/Császár, Aussetzung 7 uVa § 338 StPO 1850; vgl hierzu instruktiv Roeder, Ist eine
mehrmalige Aussetzung der Entscheidung im geschworenengerichtlichen Verfahren zulässig? JBl 1969, 586 (591);
Sadoghi, Die Bekämpfung der Tatfrage im geschworenengerichtlichen Verfahren, JSt 2008, 78 (79); dieselbe, Up-
date Geschworenengerichtsbarkeit, ÖJZ 2018, 257 (259 uVa § 338 StPO 1850 in FN 36).
10 Dies wohl umso weniger, wenn man die umfängliche Veränderung der Aussetzung im Jahre 1933 in den Blick
nimmt, welche seit 1951 unverändert in § 334 StPO zu finden ist.
11 Vgl § 338 StPO 1850; Sadoghi, Geschworengerichtsbarkeit 53, 69; dieselbe, JSt 2008, 79; dieselbe, ÖJZ 2018, 259.
12 Burgstaller in Burgstaller/Schima/Császár, Aussetzung 9 f mN in FN 9; Sadoghi, Geschworengerichtsbarkeit 234.
13 Burgstaller in Burgstaller/Schima/Császár, Aussetzung 8.
14 Burgstaller in Burgstaller/Schima/Császár, Aussetzung 8-10; Sadoghi, Geschworengerichtsbarkeit 85 f mN in FN
445; 234 mN in FN 1222; dieselbe, JSt 2008, 79; dieselbe, Ă–JZ 2018, 259.
15 Burgstaller in Burgstaller/Schima/Császár, Aussetzung 9.
16 Siehe Burgstaller in Burgstaller/Schima/Császár, Aussetzung 9 f, unter Zitierung von Mayer und Hinweis auf Rittler
in FN 8.
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Austrian Law Journal
Band 1/2019
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2019
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 126
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal