Seite - 81 - in Austrian Law Journal, Band 1/2019
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ALJ 2019 Die Aussetzung (§ 334 StPO) 81
differente Beurteilung der Schuldfrage zum Ausdruck, die – wie oben dargelegt – ebenso präjudi-
ziell wirkt wie eine solche mit Begründung. Auch in der unbegründeten Aussetzung kommt zum
Ausdruck, dass alle drei Berufsrichter die Entscheidung der Geschworenen in der Hauptsache für
verfehlt halten, selbst somit anders entschieden hätten.
Sofern der VfGH (im Zusammenhang mit Ausführungen zur fehlenden Begründetheit der Ausset-
zung) vermeint, da Art 6 EMRK keine Einrichtung eines Instanzenzugs fordere, es für die dieser
Bestimmung innewohnende Garantie bereits genüge, dass ein Gericht über die Aussetzung ent-
scheide,120 ist mAn darauf hinzuweisen, dass nicht die formale Begründung einer weiteren Instanz
den Grundsatz des fairen Verfahrens prägt, sondern dieser sich aus der inhaltlichen Ausgestaltung
und den realen Möglichkeiten der Überprüfung und Änderung einer behördlichen bzw gerichtli-
chen Entscheidung ergibt. Die Behauptung, dass ein faires Verfahren gegeben sei, weil drei Berufs-
richter über die Aussetzung entscheiden, geht deshalb fehl, weil sie nicht berücksichtigt, dass ge-
gen deren Entscheidung nach in Österreich hA keine wirksame Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet
ist, und diese sich im Ergebnis (mangels reeller Überprüfungsmöglichkeit durch den OGH, welcher
nur die zweite Verhandlung anordnet) als de facto unveränderliche darstellt. Die „einstimmige“
Entscheidung der Berufsrichter besitzt nun mE (mangels Begründung) keine (vom VfGH inzident
unterstellte) besondere Qualität in Bezug auf ihre Verbindlichkeit, und dies auch deshalb nicht, weil
die Berufsrichter nur darin übereinstimmen müssen, die Entscheidung auszusetzen, somit jene
beseitigen zu wollen, von ihnen aber nicht auch hinsichtlich des Grundes der Aussetzung Einstim-
migkeit gefordert wird.121 Eine begründungslose Entscheidung eines aus Berufsrichtern bestehen-
den Gerichts ist im Strafverfahren (gerade im Bereich der Geschworenengerichtsbarkeit) demnach
nicht weniger dem Vorwurf der mangelnden Nachvollziehbarkeit ausgesetzt als eine vergleichbare
eines allein aus Laien gebildeten oder eines „gemischt“ zusammengesetzten Gerichts. Nur auf
Grund der Innehabung des Amtes eines Berufsrichters auf eine insofern qualitative Höherwertig-
keit einer begründungslosen Entscheidung schließen zu wollen, überzeugt nicht.
Die Annahme des VfGH, die fehlenden Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Aussetzungsentschei-
dung seien unbedenklich,122 verkennt den Normbefehl des § 87 Abs 1 letzter Satz StPO im Gesamt-
gefüge des österreichischen Strafverfahrens, wonach gegen einen gerichtlichen Beschluss sehr
wohl eine Beschwerdemöglichkeit eröffnet sein muss, „soweit das Gesetz im Einzelnen nichts an-
deres bestimmt.“ Für Beschlüsse nach § 334 iVm § 341 StPO existieren aber gerade keine gesetzli-
chen Sonderregeln, sodass sich in Anwendung des in § 87 StPO angeordneten Grundsatzes die in
der Praxis gängige und von der hM befürwortete Unanfechtbarkeit der Aussetzung sich als eine
solche contra legem darstellt und sich aus rechtlichen Gründen nicht „konsistent in das in der
Strafprozeßordnung 1975 festgelegte System der Geschworenengerichtsbarkeit“ einfügen kann.123
120 VfGH 27. 6. 2018, G 28/2018 Rn 59; Hörtenhuber/Dörnhofer, VfGH G 28/2018 ÖJZ 2018, 1100.
121 Burgstaller in Burgstaller/Schima/Császár, Aussetzung 29 f; Philipp in WK-StPO § 334 Rn 10.
122 VfGH 27. 6. 2018, G 28/2018 Rn 32; Hörtenhuber/Dörnhofer, VfGH G 28/2018 ÖJZ 2018, 1100; siehe ferner Gro-
schedl/Oswald/Pavlidis/Pinetz/Schaffer/Ziniel, ecolex 2018, 1044.
123 VfGH 27. 6. 2018, G 28/2018 Rn 58. Der Umstand der diffizilen Bekämpfungsmöglichkeit eines begründungslosen
Beschlusses im Tatsächlichen kann insofern nicht zur Rechtfertigung der Unanfechtbarkeit desselben herangezo-
gen werden: Ein solches Verständnis wäre zirkelschlüssig (so inzident jedoch VfGH 27. 6. 2018, G 28/2018 Rn 58;
Hörtenhuber/Dörnhofer, VfGH G 28/2018 ÖJZ 2018, 1100), im Ergebnis unvertretbar und widerspricht eindeutig
dem klaren, in § 87 Abs 1 letzter Satz StPO niedergelegten Normbefehl. Der Verweis des VfGH, wonach es im
„rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers liege, durch den Ausschluss eines Rechtsbehelfs Zwi-
schenstreitigkeiten über die Rechtmäßigkeit der Aussetzung hintanzuhalten“ (VfGH 27. 6. 2018, G 28/2018 Rn 67;
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Austrian Law Journal
Band 1/2019
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2019
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 126
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal