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ALJ 2021 Schadenersatz 15
Auftretenden vorausgesetzt“ ist89 und es „als schadenersatzrechtliches Grundprinzip keiner
besonderen Erwähnung bedürfe[]“, dass „der Ersatz des Vertrauensschadens […]
Verschulden des falsus procurators voraussetzt“.90 Damit lässt der Gesetzgeber in den
Materialien zum HaRÄG 2005 nicht bloß am Verschuldenserfordernis keine Zweifel
aufkommen. Vielmehr erinnern seine Worte auch ein Stück weit an Argumente aus der
gegenständlichen Kontroverse zur Haftung bei Verlöbnisbruch. Denn zur Haftung bei
Verlöbnisbruch wird argumentiert, dass nicht einzusehen ist, warum ausgerechnet beim
Verlöbnis am Wortlaut haftend von der allgemeinen Regel der Verschuldenshaftung
(§§ 1295 ff ABGB) abgewichen werden sollte.91
Dieses Hineinreklamieren des Verschuldenserfordernisses aus Gründen der
Systemgerechtigkeit trifft sich mit einem anderen Argument. Es wird nämlich auch
argumentiert, dass sich im Verlöbnisrecht der Standpunkt der verschuldensunabhängigen
Ersatzpflicht nur so lange gehalten hat, weil der Kontakt zum Schadenersatzrecht nicht
gesehen wurde,92 in dem zumindest § 1295 ABGB das Verschuldensprinzip als Regel
aufstellt.93
C. Verschuldensunabhängiger positiver Vertrauensschutz im ABGB
Trotz alldem sollte nicht vorschnell angesichts der Erkenntnis, dass für begründetes
Vertrauen einzustehen ist, angenommen werden, dass nur die schuldhafte Begründung
eines Vertrauenstatbestands eine Haftung rechtfertigt.94 Dagegen spricht schon aus
schadenersatzrechtlicher Perspektive, dass auch im österreichischen Schadenersatzrecht
das Verschuldensprinzip nicht ausschließlich gilt.95 Aber auch den Schutz von Vertrauen
macht das ABGB keineswegs durchgehend vom Vorliegen eines Verschuldens abhängig.
Vielmehr verlangt das ABGB gerade dort, wo das „Einstehen“ für eine Erklärung im
Mittelpunkt steht, kein schuldhaftes Verhalten des Erklärenden.96 Blickt man nämlich auf das
Irrtumsrecht, so zeigt sich: Der Irrende muss verschuldensunabhängig für das in seiner
Erklärung liegende Manko – das ist die falsche oder mangelnde Vorstellung von der
Wirklichkeit97 – einstehen, wenn keine der drei alternativen Anfechtungsvoraussetzungen
nach § 871 ABGB (Stichwörter: „fehlendes Vertrauensschutzbedürfnis beim Gegner des
Irrenden“) erfüllt ist. Denn in diesem Fall bleibt der Irrende, einerlei ob er schuldig oder
89 ErlRV 1058 BlgNR 22. GP 71.
90 ErlRV 1058 BlgNR 22. GP 82.
91 Hopf/Kathrein, Eherecht³ § 46 ABGB Rz 6; s auch Koziol, Haftpflichtrecht II3 A 6 Rz 303.
92 Koziol, JBl 1975, 61 (63).
93 Siehe freilich zur Bedeutung des Verschuldens im Schadenersatzrecht auch Koziol, Haftpflichtrecht I4 C 2 Rz 6 ff.
94 So zum BGB im Übrigen auch Singer in FS Canaris (2002) 135 (144, s auch 155) und auch schon Canaris, AcP 165 (1965) 1
(13).
95 Vgl dazu statt vieler den Überblick zum Verhältnis des Verschuldensprinzips zu anderen „Zurechnungsgründen“ bei
Geroldinger, Der mutwillige Rechtsstreit (2017) 84 f.
96 Vgl auch schon Ostheim (JBl 1980, 522 [1. Teil], 570 [576 f; 2. Teil]), der „eine verschuldensunabhängige Haftung für die
Enttäuschung von auf (konkludente) Erklärungstatbestände gegründeten besonderen Vertrauenslagen“ unter Berufung auf
§ 871 ABGB mit den Grundwertung des ABGB vereinbar hält. S auch bereits Dniestrzański, GrünhutsZ 33 (1906) 87 (165).
97 So die verbreitete Definition des Irrtums, zB Rummel in Rummel/Lukas, ABGB4 (2014) § 871 Rz 3; Bollenberger/P. Bydlinski
in Koziol/P. Bydlinski/Bollenberger, ABGB6 § 871 Rz 2.
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Austrian Law Journal
Band 1/2021
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2021
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 59
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal