Seite - 17 - in Austrian Law Journal, Band 1/2021
Bild der Seite - 17 -
Text der Seite - 17 -
ALJ 2021 Schadenersatz 17
E. Schlussfolgerungen
Damit ist es an dieser Stelle auf Grund des Erläuterten nur mehr ein kleiner Schritt zur
Erkenntnis, dass es nicht zwingend geboten ist, die Haftung bei Verlöbnisbruch – bei
Verlöbnisbruch kommt als primärer Rechtsbehelf die Haftung auf den Vertrauensschaden in
Betracht, weil nach der gesetzgeberischen Bewertung trotz der Verlobung keine Pflicht zur
Eheschließung, mithin keine Erfüllungspflicht besteht106 – vom Verschulden abhängig zu
machen.107 Oder anders gewendet: Da die österreichische Rechtsordnung abseits von
§ 46 ABGB sowohl den verschuldensabhängigen als auch den verschuldensunabhängigen
Schutz von Vertrauen kennt, ist es prima vista keineswegs zwingend, Vertrauen nur bei
schuldhafter Begründung des Vertrauenstatbestands zu schützen. Deshalb sollte nicht
vorschnell aus Gründen der Systemgerechtigkeit das Verschuldenskriterium eingefordert
werden. Vielmehr empfiehlt sich, die Antwort auf die Frage, ob Vertrauen nur bei
schuldhaftem oder auch bei schuldlosem Begründen geschützt wird, durch eine sorgfältige
Auslegung der jeweiligen Norm zu ermitteln.
VI. Der erweisliche Wille des Gesetzgebers
Ist demnach eine Rückkehr zu § 46 ABGB angezeigt, steht für dessen Auslegung bisher
lediglich fest, dass sich bei Rücktritt vom Verlöbnis eine verschuldensunabhängige
Vertrauensschadenersatzhaftung durchaus in den Umgang der österreichischen
Rechtsordnung mit Vertrauen, das sie normativ schützt, einbetten ließe. Bisher
unbeantwortet ist aber die Frage geblieben, ob die Haftung nach § 46 ABGB tatsächlich dem
Modell eines verschuldensunabhängigen negativen Vertrauensschutzes folgt.
Wer diese Frage beantworten will, kommt um die Entstehungsgeschichte von § 46 ABGB nicht
herum.108 Die Entstehungsgeschichte von § 46 ABGB belegt in der Tat, dass das
Verschuldenserfordernis im Laufe der Zeit sukzessive beschnitten wurde.109 Denn nachdem
die Zeit überwunden war, in der dem Eheversprechen alle Wirkung genommen worden war,
beschloss die Kommission unter Martini zunächst, dass dem Beleidigten auf sein Verlangen
bei unbegründetem Rücktritt bei „unterloffener List, Betrug oder Schwächung“ Genugtuung
106 Siehe die Nachweise in Fn 36.
107 Hingegen meint Koziol (JBl 1975, 61), dass kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich ist, der es berechtigt scheinen lässt, das
Nichteinhalten des Verlöbnisses mit den Tatbeständen gleich zu behandeln, in denen die Rechtsordnung eine
verschuldensunabhängige Haftung anordnet. Dabei hat Koziol allerdings nur die Haftung für fremdes Verhalten (§§ 1313a,
1315 ABGB), die Eingriffshaftung (zB § 1306a ABGB) und die sondergesetzlich geregelten Gefährdungshaftungen vor Augen.
Die angestellten Überlegungen sollten überdies deutlich gemacht haben, dass der Gesetzeszweck des Schutzes von
Vertrauen auf den Bestand des Verlöbnisses und die Einhaltung des Eheversprechens (so Hopf/Kathrein, Eherecht³
§ 46 ABGB Rz 1 und Rz 6) für sich jedenfalls nicht damit disharmoniert, einen Verlobten selbst dann mit der
Schadenersatzpflicht zu belasten, wenn ihm aus dem Verlöbnisbruch kein Vorwurf zu machen ist. Davon zu trennen ist die
Frage, ob die Interessenslage bei Verlöbnisbruch so liegt, dass dem Verschuldensprinzip zur Rechtfertigung der Belastung
eines Verlobten mit der Schadenersatzpflicht der Vorzug zu geben ist (s dazu sogleich im Text). Die Beantwortung dieser
Frage ist dem Gesetzgeber vorbehalten.
108 Siehe dazu ausf unter Punkt II.
109 So bereits Oberhofer, ÖJZ 1994, 433 (437). S ferner auch Dolliner, Eherecht I² 20 f.
zurück zum
Buch Austrian Law Journal, Band 1/2021"
Austrian Law Journal
Band 1/2021
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2021
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 59
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal