Seite - 40 - in Austrian Law Journal, Band 1/2021
Bild der Seite - 40 -
Text der Seite - 40 -
ALJ 2021 Lindenbauer 40
Ausnahmen in Bezug auf Anforderungen an Gesellschafter von Patentanwaltsgesellschaften
enthielt.128
b. Rechtliche Gleichbehandlung, obwohl Unterscheidung geboten wäre
Neben derartigen Fällen kann eine Inkohärenz jedoch uU auch bei einer rechtlichen
Gleichbehandlung vorliegen, wenn eigentlich eine Unterscheidung geboten wäre. Zu denken
ist hier insbesondere an generelle Verbote, obwohl in sachlicher Hinsicht eigentlich
Ausnahmen bzw Differenzierungen nötig wären. Als Beispiel sei die Entscheidung in Yves
Rocher genannt – auch wenn der Gerichtshof damals noch nicht explizit von einer
vorliegenden Inkohärenz sprach. In diesem Fall ging es um ein Verbot von blickfangmäßigen
Preisgegenüberstellungen zum Schutz der Konsumenten. Das Verbot galt allerdings
unabhängig davon, ob die Gegenüberstellungen der Wahrheit entsprachen oder nicht. Im
Ergebnis führte dies dazu, dass von der restriktiven Regelung auch Preisgegenüberstellungen
betroffen waren, welche für den Endverbraucher nützlich hätten sein können. Dem
Konsumenten wurden also durch das generelle Verbot entscheidungsrelevante
Informationen vorenthalten, obwohl die Zurverfügungstellung von Informationen eigentlich
eine der Grundsäulen des Konsumentenschutzes ist. Aufgrund dieses Widerspruches wurde
die Maßnahme letztlich als unverhältnismäßig eingestuft.129
c. Weitere Kriterien
Ein weiterer vom EuGH als problematisch erachteter Umstand ist das Ausmaß des
Ermessensspielraumes der zuständigen Behörden und damit einhergehend auch der Grad
der Vorherbestimmtheit von deren Handlungen.130 Darüber hinaus ist eine Inkohärenz vor
allem immer dann anzunehmen, wenn ein Mitgliedstaat nicht wirklich ernsthaft versucht,
seine Ziele zu erreichen bzw die Politik der Behörden die Erreichung dieser unterminiert.131
Keine Inkohärenz liegt demgegenüber insbesondere dann vor, wenn vorhandene
Widersprüche nicht erheblich genug sind oder Ungleichbehandlungen bzw Ausnahmen
gerechtfertigt erscheinen. Dies zeigte sich unter anderem in einem
Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich132: Zur Bekämpfung der Luftverschmutzung
wurde unter anderem ein sektorales Fahrverbot für bestimmte Lastkraftwagen auf einem
Autobahnabschnitt der A12 in Tirol erlassen. Um den Güterverkehr vermehrt auf die
Eisenbahn zu verlagern, knüpfte das damalige Verbot auch daran an, ob Güter mit
„Bahnaffinität“ transportiert wurden. Eine mögliche Inkohärenz in Bezug auf das Ziel der
Verringerung von Schadstoffemissionen lag nun darin, dass bei einer Anknüpfung an die
transportierten Güter anstatt des Schadstoffausstoßes der verwendeten Lastkraftwagen uU
umweltfreundliche Lastkraftwagen den Autobahnabschnitt nicht benutzen durften, während
128 Vgl EuGH 29. 7.2019, C-209/18, Kommission/Österreich, Rn 95 – auch wenn diese Entscheidung speziell zur RL 2006/123/EG
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl L 2006/376, 36
erging.
129 EuGH 18.9.1993, C-126/91, Yves Rocher, Rn 14 ff. Vgl hierzu auch Mathisen, Common Market Law Review 2010, 1030.
130 Siehe zB EuGH 26.9.2013, C-539/11, Ottica New Line, Rn 52 ff; EuGH 22.6.2017, C-49/16, Unibet International, Rn 40 ff;
EuGH 10.3.2009, C-169/07, Hartlauer, Rn 64 ff.
131 Siehe etwa EuGH 19.12.2018, C-375/17, Stanley International Betting und Stanleybet Malta, Rn 51 ff; EuGH 28.2.2018, C 3/17,
Sporting Odds, Rn 24.
132 EuGH 21.12.2011, C-28/09, Kommission/Österreich. Vgl zu dieser Entscheidung Keiler, Warenverkehr, in
Eilmansberger/Herzig (Hrsg), Jahrbuch Europarecht 12 (2012) 103.
zurück zum
Buch Austrian Law Journal, Band 1/2021"
Austrian Law Journal
Band 1/2021
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 1/2021
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 59
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal