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ALJ 2/2015 Andreas Geroldinger 207
Für das deutsche Recht gehörte Zimmermann im Jahr 1979 zu den Ersten, die den „blue pencil
test“ als Instrument zur Trennung von wirksamen und unwirksamen Vertragsteilen empfahlen.74
In der Sache findet er sich auch schon in Entscheidungen des BGH aus den Jahren 1980 und
1981.75 Für die Verbreiterung des Begriffes „blue pencil test“ sorgte nicht zuletzt Heinrichs, der ihn
in die 48. Auflage des Palandt-BGB-Kommentars aufnahm.76 Als die deutsche Lehre und Judikatur
Anfang der 1980er Jahre auf den „blue pencil test“ aufmerksam wurden, hatten sich somit im
Common-law-Rechtskreis bereits zahlreiche Varianten und Gegenpositionen entwickelt. Auch in
der gegenwärtigen Diskussion sind, wie zuvor dargestellt, die Grenzen dieses Instrumentes kei-
neswegs eindeutig abgesteckt. Bei Verwendung des Begriffes „blue pencil test“ ist also Vorsicht
geboten. In weiterer Folge wird er nur im Kontext der Abgrenzung einzelner sprachlich (zB in
einem Satz oder Absatz) zusammengefasster AGB-Regelungen und dabei in seiner strengsten
Form verwendet, wonach ausschlieĂźlich das Durchstreichen von Text erlaubt und jede Umformu-
lierung untersagt ist.77
Missverständlich sind auch die vielfach verwendeten Begriffe „Teilunwirksamkeit“ oder „Teilbar-
keit einer Klausel“.78 Derartiges ist nach dem Verbot der geltungserhaltenden Reduktion im
Grunde nicht mehr möglich – einzelne Klauseln sind entweder wirksam oder nicht. Es kann im
Lichte der Rsp des EuGH nur darum gehen, (vollständige) Klauseln voneinander abzugrenzen.
Der Begriff der „Teilunwirksamkeit“ kommt zudem in anderem Zusammenhang vor. Die Klausel-
RL anerkennt das Konzept der Teilunwirksamkeit ausdrücklich in Art 6 Abs 1 Hs 2, wonach „der
Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die mißbräuch-
lichen Klauseln bestehen kann“ (vgl auch § 306 Abs 1 BGB). Dabei geht es freilich um die Restgül-
tigkeit des gesamten Vertrages trotz einzelner missbräuchlicher Klauseln. Auch dies ist und war
ein Aspekt des „blue pencil test“79, entspricht aber nicht seinem „Haupteinsatzgebiet“ in der gegen-
wärtigen Diskussion.
B. Vorrang der Formulierung?
Ein wichtiges Anwendungsgebiet der „blue pencil rule“ sind Freizeichnungsklauseln, mit denen
die AGB-Aufsteller ihre Haftung nach Möglichkeit zu begrenzen versuchen.80 Je nach ihrer Formu-
lierung gelangt man auf Basis des „blue pencil test“ zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen:
„Die Haftung des [AGB-Verwenders] für Sachschäden ist bei leichter, grober und krass grober
Fahrlässigkeit ausgeschlossen.“ Bei unbefangener Betrachtung und nach allgemeinem Sprachge-
brauch mag man diesen Satz als „eine Klausel“ qualifizieren. Er enthält allerdings Haftungsaus-
74 Zimmermann, Richterliches Moderationsrecht oder Totalnichtigkeit? (1979) 79.
75 BGH VIII ZR 273/79 NJW 1981, 117; VIII ZR 214/80 NJW 1982, 178; siehe Punkt II.C.2.
76 Heinrichs in Palandt (Hrsg), BGB48 (1989) Vorb. zu § 8 AGBG Anm 3d; vgl nun Grüneberg in Palandt (Hrsg), BGB74
(2015) § 306 Rz 7 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rsp.
77 Mitunter erachtete der BGH freilich auch gewisse Umformulierungen als zulässig; siehe Fn 29.
78 Anstelle vieler Roloff in Erman, BGB I14 (2014) § 306 Rz 11; vgl auch Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen
Rechts9 (2004) § 43 Rz 84: „aus der Klausel einzelne unwirksame Teile herausgenommen“; weitere Nachweise bei
Uffmann, Verbot 153 Fn 21.
79 Zum Teil wird freilich vertreten, dass Art 6 Abs 1 Klausel-RL oder § 306 Abs 1 BGB der blue pencil rule ent-
spreche; siehe Padfield, The Impact On English Contract Law Of The EC Directive On Unfair Terms In Consumer
Contracts, J.I.B.L. (Journal of International Banking Law) 10 (1995) 175 (179); Schlewing, Vertragsgestaltung – Aus-
legung, Unklarheitenregel, geltungserhaltende Reduktion, blue-pencil-Test, ergänzende Vertragsauslegung und
Verweisungsklauseln, NZA-Beilage 2012, 33 (33).
80 Siehe zB OGH 5 Ob 42/11d ÖBA 2012, 312 (Riss); BGH VI ZR 4/84 BGHZ 96,18 = JZ 1986, 342 (Prölss); dazu auch
Hager, Der lange Abschied vom Verbot der geltungserhaltenden Reduktion, JZ 1996, 175 (177).
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Austrian Law Journal
Band 2/2015
- Titel
- Austrian Law Journal
- Band
- 2/2015
- Autor
- Karl-Franzens-Universität Graz
- Herausgeber
- Brigitta Lurger
- Elisabeth Staudegger
- Stefan Storr
- Ort
- Graz
- Datum
- 2015
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- Abmessungen
- 19.1 x 27.5 cm
- Seiten
- 100
- Schlagwörter
- Recht, Gesetz, Rechtswissenschaft, Jurisprudenz
- Kategorien
- Zeitschriften Austrian Law Journal